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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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zweifelndes Gesicht. »Na, ich hoffe, Sie fassen ihn so bald wie möglich.« Er verstummte, als eine hochgewachsene Frau auf ihn zukam. Sie war etwa fünfundvierzig, hatte kurzes schwarzes Haar und trug ein dunkelgrünes Kleid. Sie bewegte sich schwerelos wie eine Tänzerin, und Woody fand sie ziemlich schön. Sie flüsterte Brantley etwas ins Ohr und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Dann lächelte sie Woody zu und ging die breite Treppe hinauf.
    »Ist das Ihre Frau?«, fragte Woody. »Sie ist sehr attraktiv.«
    »Jenny ist meine Königin. Sie kennt die Crenners schon ihr ganzes Leben lang, und sie wollte der Familie ihr Beileid aussprechen.«
    »Die Königin des Ofenpalastes«, sagte Woody, ohne nachzudenken.
    Brantleys Gesicht wurde hässlich vor Wut. Eher ein Muskelkrampf, kein Gesichtsausdruck. Im nächsten Moment war die nichtssagende Liebenswürdigkeit wieder da. »Mit diesem Teil meines Lebens hat Jenny wenig zu tun. Sie kommt selten her. Womit kann ich Ihnen diesmal behilflich sein, Detective?«
    Woody ging auf den Sarg zu. Brantleys Reaktion hatte ihn überrascht, und er musste sie erst verdauen. Die meisten Leute im Raum waren älter und sprachen gedämpft miteinander. Brantley folgte ihm.
    »Wenn im Ocean Breezes jemand stirbt«, sagte Woody, »wird er dann hierher gebracht?«
    »Er könnte auch jederzeit woandershin. Wir haben schließlich kein Monopol. Aber wir sind das einzige Bestattungsinstitut in Brewster.«
    »Was passiert mit jemandem, der seinen Leichnam der Universität hinterlässt?«
    »Wenn jemand unerwartet stirbt und wenn er ein Organspender ist, geht der Leichnam an die Universität. Wenn der komplette Leichnam an die Uni geht, kommt er oft vorher hierher. Manchmal wünscht die Familie eine Totenandacht. Der Leichnam kann jedoch auch direkt zu der betreffenden Einrichtung gebracht werden, und die Familie hält ihre Gedenkfeier zu einem späteren Zeitpunkt ab. Da kann jeder Fall anders sein. Und natürlich muss der Leichenbeschauer in allen Fällen zustimmen.«
    Mrs. Crenner lag mit gefalteten Händen im Sarg. Ein Rosenkranz war um die Finger geschlungen. Sie trug ein dunkles Kleid und musste Mitte achtzig gewesen sein, als sie gestorben war. Mit Rouge und Make-up sah sie aus wie ein Inbild der Gesundheit. Die untere Hälfte des Sargdeckels war geschlossen.
    »Haben Sie ihr Schuhe angezogen?«, fragte Woody.
    »Mein Gott, wie können Sie so etwas fragen?«
    Woody zuckte die Achseln. »Schuhe, Socken – sie könnte von der Taille abwärts nackt sein. Woher soll man das wissen?«
    »Was für eine grässliche Vorstellung. Ich finde das kein bisschen komisch.«
    Woody wandte sich vom Sarg ab. Brantley war anscheinend ernsthaft empört.
    »Sie arbeiten im Ocean Breezes mit Dr. Balfour zusammen?«
    »Manchmal. Wir arbeiten mit mehreren Ärzten zusammen.«
    »Ich dachte, er übernimmt den größten Teil der Arbeit da drüben.«
    »Ich glaube, er hat nachts oft Rufbereitschaft, aber ich bin nicht der, den Sie danach fragen sollten. Wie gesagt, wir arbeiten mit mehreren Ärzten.«
    »Ich habe gehört, dass im Ocean Breezes diesen Monat ungewöhnlich viele Männer und Frauen gestorben sind.« Sie waren auf dem Weg zurück in den Flur. Brantley nickte Leuten zu, die er kannte, klopfte einem Mann auf die Schulter, drückte einem anderen die Hand.
    »Danach sollten Sie sich im Ocean Breezes erkundigen – oder übrigens auch im Rathaus.«
    »Führen Sie keine Akten?«
    »Doch, natürlich, aber einige der Verstorbenen sind zu anderen Firmen gebracht worden, oder in die Klinik, wenn sie Körperspender waren.«
    »Welche Beziehung unterhalten Sie zu Körpermaklern?«
    »Fragen Sie mich das im Ernst?« Brantley war entrüstet. »Das alles läuft über das Krankenhaus. Wir sind zu klein, um uns damit zu befassen. Allerdings kommt es vor, dass ein Leichnam zu uns kommt, nachdem ein Makler fertig ist mit dem … was auch immer.«
    »Mit dem Ausschlachten?«
    Brantley nickte.
    »Sind Sie mit Balfour befreundet?«
    Brantley sah ihn überrascht an. »Ich bewundere ihn, und wir gehen freundlich miteinander um, doch das ist auch alles. Als Arzt hat er die Verpflichtung, Kranke zu heilen, gegen Krankheiten zu kämpfen und das Leben zu verlängern. Ich, na ja, ich arbeite am anderen Ende der Dinge.«
    »Ich würde gern Ihre Unterlagen für den Oktober sehen.«
    Sie waren im Flur angekommen, und Brantley blieb stehen. »Jetzt? Also wirklich, Woody. Ich bin äußerst beschäftigt. Sehen Sie die vielen Leute nicht? Ich

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