Das Fest der Schlangen
seines Vaters war. Nichts an ihm sah aus wie bei seiner Mutter. So, wie Zeus die Göttin Athene geboren hatte – sie war voll entwickelt aus seinem Kopf entsprungen –, so schien auch Fred Bonaldo seinen Sohn Baldo ganz allein zur Welt gebracht zu haben.
Der zweite Teil der komplizierten Aussage war unausgesprochen, aber klar: »Fred, das Leben deines Sohnes ist in Gefahr.« Für Bonaldo schrumpfte Hamilton Brantleys Bedeutung zusammen.
Die Einsatzzentrale informierte die Wagen, die in Brewster Streife fuhren, und wies sie an, nach Baldo Bonaldo Ausschau zu halten. Mehrere Bestätigungen kamen zurück, jedoch auch eine Meldung, man habe sich um ein Problem mit Tieren zu kümmern.
»Hier sind viele Kojoten unterwegs heute Abend«, meldete ein Officer.
Bonaldo schickte Constantino zu Brantley und lief selbst in die Garage, um sich einen Wagen zu holen. Aber alle Polizeifahrzeuge waren im Einsatz, und deshalb musste Bonaldo seinen eigenen schwarzen Chevy TrailBlazer nehmen. Als Bonaldo so eilig hinauslief, rutschte er auf dem verschneiten Weg aus und wäre beinahe hingefallen. Es war ein scheußlicher Abend, an dem man eigentlich nur am Kamin sitzen konnte. Trotz aller Angst und Sorge musste Bonaldo beeindruckt zur Kenntnis nehmen, dass Baldo sich in seinem Trachten nach Süßigkeiten in solches Wetter hinauswagte.
Als Hercel McGarty hörte, wie Laura mit ihrem Mann telefonierte, dachte er das Gleiche. Auch er war hin und her gerissen. Wenn Baldo sein Freund sein sollte, hatte Hercel dann das Recht, in der Behaglichkeit von dessen Haus zu sitzen, während dieser Freund vielleicht in Not geriet? Wenn man zehn Jahre alt ist, gibt es in solchen Fragen keine Grauzonen. Vernünftig war es, im Haus zu bleiben. Hercel sah, wie das Wetter draußen war. Er hatte kein Verlangen danach, in den Schnee hinauszulaufen. Dennoch, dachte er, wäre es feige, hier zu bleiben, auch wenn das nicht bedeutete, dass er es für mutig hielt, Baldo suchen zu gehen. Er wusste nur, ihm würde unbehaglich dabei sein, einfach im Haus zu bleiben. Es gab keine Argumente, es war bloß ein Gefühl. Er sprach mit niemandem darüber und sagte nicht einmal Tig etwas, aber er versuchte, Ajax mitzunehmen. Die Hintertür lag auf halber Höhe der Treppe, wenn man von der Küche ins Spielzimmer hinunterging. Hercel rief Ajax, und der kam auch ganz bereitwillig, doch als der Hund das Wetter sah, weigerte er sich hinauszugehen, und trottete wieder nach unten. Ajax war kein Idiot.
Also lief Hercel allein hinaus. Er trug eine Wolljacke und seine »Red Sox«-Kappe, aber der Wind war fies, und der Schnee blieb an seiner Jacke hängen, sodass er nach ein paar Minuten aussah wie ein Schneemann. Gut daran war, dass er Baldos Spuren sehen konnte, obwohl sie zunehmend vom Schnee verweht wurden. Wenigstens wiesen sie ihn in die richtige Richtung. Außerdem rannte Hercel, während Baldo niemals rannte. Schlecht war, dass Hercel ein Kläffen hörte, und er wusste, es war ein Kojote.
Inzwischen fuhr Bonaldo in den Straßen seiner Nachbarschaft auf und ab. Zwei Streifenwagen kreuzten ebenfalls durch die Gegend, während Lieutenant Constantino und seine Leute zu Brantleys Bestattungsinstitut fuhren. Dort war alles dunkel und fest verschlossen. In der Einfahrt waren keine Reifenspuren zu sehen. Constantino fuhr weiter zu Brantleys Privathaus in der James Street. Auch hier war alles dunkel. Er rief die Einsatzzentrale an und ließ die Fahndung ausschreiben. Dann erkundigte er sich bei Captain Brotman nach Durchsuchungsbeschlüssen. Auch Constantino kannte Brantley schon fast sein ganzes Leben lang, aber er hatte ihn noch nie besonders gemocht. Brantleys Hände waren zu weiß.
Etwa zur selben Zeit steuerte Detective Lajoie Woodys Tundra in hohem Tempo über das verschneite Grundstück auf die Tür des Krematoriums zu. Dann riss sie das Lenkrad herum, sodass der Truck sich im Halbkreis um die eigene Achse drehte. Krachend legte sie den Rückwärtsgang ein und fuhr rückwärts auf die Tür zu. Woody saß neben ihr und hoffte, sie würde den Wagen nicht umkippen. Um die Genehmigung für das Fahren am Strand zu bekommen, hatte Woody einen Erste-Hilfe-Kasten, eine Schaufel und ein Abschleppseil in den Wagen legen müssen. Für die Schaufel hatte er Pläne, aber das Wichtigste war das Nylon-Abschleppseil mit einer Belastbarkeit von bis zu fünfzehn Tonnen.
Als der Tundra noch drei Meter weit von der Tür entfernt war, sprangen Woody und Slovatsky hinaus. Slovatsky hatte das
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