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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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auf eine liebenswerte Unzulänglichkeit. »Komm, wir müssen rennen.«
    »Mir tun die Füße weh.«
    »Okay, dann bleib hier und lass dich von den Kojoten fressen.«
    Baldo versuchte es mit einem langsamen Trab. Er begriff nicht, weshalb Hercel so ein Theater machte. Bis nach Hause waren es doch nur zwei Blocks.
    Aber manchmal gehen die Dinge eben nicht so einfach, und ein paar Augenblicke später sahen Hercel und Baldo zwei Kojoten durch den Schnee auf sich zukommen, mitten auf der Straße. Trotz seiner wunden Füße war Baldo bereit zu rennen, doch Hercel zog ihn vom Gehweg zum nächsten Haus. Das Haus lag im Dunkeln, und der Weg zur Tür war nicht frei geschaufelt. Hercel drückte den Daumen auf die Klingel.
    Die Kojoten blieben vor dem Haus stehen. Zunächst schien es, als wären sie an den Jungen nicht interessiert, sondern nur ein bisschen neugierig, aber dann kamen sie ein paar Schritte näher heran.
    Baldos Angst wurde größer. »Benutz deinen Trick!«
    Hercel drückte wieder auf den Klingelknopf und antwortete nicht.
    »Benutz ihn!«, rief Baldo. »Du musst!«
    »Ich kann nicht«, sagte Hercel wütend. »Ich hab’s nicht mehr. Es ist kaputtgegangen.«
    »Das glaube ich nicht. Wie kann es kaputtgehen? Wenn du es nicht benutzt, werden wir gefressen!«
    »Kapierst du nicht? Ich hab’s nicht mehr!«
    In diesem Augenblick ging das Licht an, und die Tür wurde geöffnet. »Ihr Bengel!«, sagte eine Frau wütend. »Seht ihr nicht, dass alles dunkel ist? Was um alles in der Welt macht ihr denn hier?« Dann sah sie die Kojoten auf der Straße und schnappte nach Luft. »Du meine Güte! Kommt sofort rein. Und putzt euch die Füße ab. Ihr habt Schnee an den Schuhen.«
    Die Frau war grauhaarig und trug einen blauen Bademantel. »Du bist doch der kleine Bonaldo, oder? Der Unruhestifter. Wag ja nicht, hier etwas zu versuchen. Ich rufe deine Mutter an. Sie muss ja krank vor Sorge sein. Wahrhaftig, ihr seid dumm wie Bohnenstroh, alle beide.«

21
    Im September, als Brewster noch friedlich und ein bisschen langweilig gewesen war, hatte Jill Franklin für die Brewster Times & Advertiser eine Geschichte über das Ocean Breezes geschrieben. Sie hatte mit einigen Bewohnern geplaudert, unter anderem mit Maud Lord, und ein paar Mitarbeiter interviewt. Eine davon war Margaret Hanna gewesen, die Nachtschwester. Margaret war eine lebhafte und vielleicht übertrieben freundliche Person – eine von denen, die Angst haben, man könnte sie nicht mögen, und sich deshalb allzu große Mühe geben, doch gemocht zu werden. Auf Jill hatte das oft die gegenteilige Wirkung, aber sie blieb freundlich oder bemühte sich doch wenigstens, und höchstwahrscheinlich wurde Margaret nie bewusst, dass ihre übertriebene Warmherzigkeit am Ende nur Kälte hervorrief.
    Margaret war anscheinend erfreut über die Story, als sie gegen Ende des Monats erschien, und vielleicht war sie tatsächlich erfreut, doch Leute wie Margaret gaben sich auch so, wenn sie in Wirklichkeit dachten: Warum hat sie nicht mehr über mich geschrieben? Jill war sich dessen bewusst, und das Resultat war Unbehagen. Sie wusste, was immer sie täte, Margaret wäre enttäuscht. Aber in den Wochen nach Erscheinen des Artikels traf sie Margaret manchmal beim Einkaufen oder im Restaurant, und Margaret zeigte sich jedes Mal überschwänglich dankbar. Dann natürlich, gegen Ende Oktober, wurde Jill entlassen.
    Deshalb war sie überrascht, als sie an Halloween auf der Fahrt nach Brewster zu Hercel einen unerwarteten Anruf von Margaret Hanna bekam. Und sie war gleich noch einmal überrascht, als Margaret nicht lossprudelte. Sie hatte Angst.
    »Ich muss Sie sofort sehen«, sagte Margaret. »Ich habe Ihnen etwas zu erzählen.«
    Margarets Stimme klang so verändert, dass Jill im ersten Moment nicht sicher war, ob es dieselbe Person war. Sie fragte Margaret, worüber sie reden wolle.
    »Das kann ich Ihnen am Telefon nicht sagen. Können wir uns nicht irgendwo treffen? Das wird eine fabelhafte Story für Sie. Wirklich ein Riesenknüller.«
    Jill erzählte nicht, dass sie entlassen worden war. Ihr fiel auf, wie angstvoll Margaret klang, und sie wusste, wenn es sich wirklich lohnte, aus Margarets Informationen eine Story zu machen, würde Ted Pomeroy sie auch drucken, obwohl er sie eine Woche zuvor gefeuert hatte. Sie verabredeten ein Treffen in Tony’s Bar in der Spruce Street, gleich um die Ecke von der Water Street.
    »Das Wetter ist scheußlich«, sagte Jill. »Sind Sie sicher, dass Sie

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