Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
Vom Netzwerk:
Normalerweise strahlten ihre Gefühle aus allen Knopflöchern.
    »Wo warst du? Weißt du, dass ich krank vor Sorge war? Du bist zwei Nächte weggeblieben. Du hast mich angelogen. Ich rufe jetzt sofort deinen Dad an, wart’s nur ab! Vielleicht wird der noch mit dir fertig.« Das alles wurde lauthals schreiend vorgetragen, während ihre Tochter aufstand und zum Badezimmer ging. Sie hatte in ihren Kleidern geschlafen, in Jeans und Pullover. An den Hosenaufschlägen war Schlamm, und ihre Füße waren schmutzig.
    »Sieh dir die Sauerei an, die du mit deinen schmutzigen Sachen angerichtet hast! Wo hast du gesteckt? Ich verlange eine Antwort, junge Dame. Warst du bei einem Jungen? Wenn du dir ein Kind machen lässt – ich werde die Göre nicht großziehen! Ich bestehe darauf, dass du mir sagst, wo du gewesen bist. Schau mal auf die Uhr! Jetzt kommst du zu spät zur Schule!«
    Nina verschwand im Bad und schloss die Tür hinter sich ab. Einen Augenblick später hörte Vicki das Rauschen der Dusche. Sie war den Tränen nahe. »Das lasse ich mir nicht gefallen!« Im nächsten Augenblick kam es ihr albern vor, die geschlossene Tür anzuschreien, und sie kehrte ins Zimmer ihrer Tochter zurück. Sie wollte Nina nicht anschreien. Sie wollte ihr sagen, wie froh sie sei, dass Nina wohlbehalten und unversehrt war. Sie wollte ihr sogar sagen, dass sie sie liebe. Die Schuhe des Mädchens waren ebenfalls schlammig. Kleidungsstücke lagen auf dem Boden verstreut, der kleine Schreibtisch war von Papieren überhäuft, aber auch von Socken, Make-up-Tiegeln, schmutzigen Gläsern und Müsli-Schalen. Vicki stellte das Geschirr zusammen.
    Als Nina aus dem Bad kam, kehrte sie nicht in ihr Zimmer zurück, sondern ging die Treppe hinunter. Sie rannte nicht, bewegte sich in gemessenem Tempo.
    Vicki lief ihr nach, balancierte das Geschirr vor sich und musste aufpassen, damit sie es nicht fallen ließ. »Willst du dich nicht umziehen? Deine Sachen sind völlig verdreckt. Was ist überhaupt los mit dir? Ich verlange, dass du nach der Schule sofort nach Hause kommst. Wenn du das je wieder tust, rufe ich die Polizei. Du hast Hausarrest, junge Dame. Bis auf Weiteres!«
    An der Tür hob Nina den Rucksack mit ihren Schulbüchern auf. Sie schaute zu ihrer Mutter hinauf, die auf halber Höhe auf der Treppe stehen geblieben war. Vicki war zu wütend, um an irgendetwas anderes als an ihren Zorn und an die Liste von Ninas Verstößen zu denken. Später erinnerte sie sich an den Blick des Mädchens und daran, wie traurig sie ausgesehen hatte, und sie dachte daran, dass ihre Tochter immer zurückgeschrien und sich nie etwas hatte gefallen lassen. Aber diesmal nicht. Diesmal warf sie sich den Rucksack über die Schulter, ging hinaus und machte sogar die Tür hinter sich zu.
    Ernest Hartmann tat der Rücken weh. Die Schuld gab er dem Queensize-Bed im Brewster Inn, einem miserablen Bett mit einer Kuhle in der Mitte, die jahrelange wilde Sexspiele dort hinterlassen hatten. Sein Rücken war hineingerutscht wie ein Burger in ein Brötchen und davon verbogen worden. Jetzt ging er gebeugt, denn wenn er sich aufrichtete, schoss ein Stromschlag von einer Million Volt durch seinen Iliosakralbereich oder dessen Nachbarschaft. Das absolut Letzte, was er haben wollte, war eine Rücken- OP , bei der ein Chirurg sich mit dem Messer an ihm zu schaffen machte. Aber er hatte sich den Rücken schon öfter verknackst, und jedes Mal wurde es schlimmer. Eines Tages würde sein Iliosakralgelenk, oder was immer da war, zu Knetgummi werden.
    Um sieben Uhr, nachdem er schon ein paar Stunden wachgelegen hatte, kroch er vorsichtig aus dem Bett und schleppte sich unter die Dusche. Das an sich brachte ihn schon fast um. Aber das heiße Wasser tat gut, und trotz der Schmerzen schaffte er es, sich anzuziehen. Die Alternative hätte darin bestanden, im Bett liegenzubleiben wie ein Klotz, bis das Zimmermädchen ihn fände. Er zog Jeans an, ein blaues Hawaiihemd mit einer Kette von weißen Hibiscusblüten auf der Brust und einen dunkelblauen Blazer. Dann ging er zur Tür.
    Hartmann faltete sich in sein blaues Ford-Focus-Coupé – Mazda im Fummel, nannte er den Wagen – und blieb schwer atmend sitzen. Wenn er sich etwas Größeres hätte leisten könne, einen Ford Escape zum Beispiel, hätte er ein- und aussteigen können, ohne sich den Rücken zu verrenken, aber das nötige Geld hatte er nicht, auch wenn er jetzt mit Rückenschmerzen dafür bezahlte. Er verließ den Parkplatz des Motels und fuhr

Weitere Kostenlose Bücher