Das Fest der Schlangen
Schwester, und sie war fünf. Es war schwer gewesen, für sie beide zu sorgen und den Job bei CVS zu behalten, aber Mr. Krause zu heiraten, kam Hercel doch vor wie eine etwas übereilte Entscheidung. Schließlich verdiente Hercel auch ein bisschen Geld damit, Sachen auszuliefern, Pfandflaschen zu sammeln und Laub zu harken. »Das nennst du Geld?«, hatte Mr. Krause gesagt. »Ist doch nur Scheißdreck.«
Hercels Fahrrad war ein 24 er »Pacific Cycle Highlander«-Mountainbike. Es war knallgrün, und man konnte damit mühelos über den Bordstein fliegen, fast ohne einen Rums. Sein Dad hatte es ihm für dreißig Dollar bei der Polizeiversteigerung gekauft, und da war es fast neu gewesen. Es hatte achtzehn Gänge und eine Vortex-Federgabel, und sein Dad sagte, das sei wichtig, aber Mr. Krause hatte es schon mehr als einmal »Schrotthaufen« genannt. Peinlich war nur, dass Hercel das Rad zwar schon seit über einem Jahr hatte, jedoch immer noch nicht freihändig fahren konnte. Mit einer Hand ging es okay, aber nicht freihändig, außer vielleicht drei Meter weit, und das galt nicht. Weil er keinen Helm hatte, war das nur gut so – das fanden zumindest manche Leute, Leute wie seine Mom. Doch Hercels Mittel, sagte er sich, waren beschränkt, und als er sich zwischen einem Helm und einem Schloss entscheiden musste, hatte er das Schloss gekauft. Vielleicht würde er einen Helm zu Weihnachten kriegen, wer weiß. Mr. Krause sagte, er habe als Junge nie einen Helm getragen, Helme seien »was für Memmen«, aber Hercel wusste, der Mann war kein gutes Vorbild. Bis jetzt hatte Hercel – toi toi toi – nie einen ernsthaften Unfall gehabt, und dabei war er schon oft zum Strand und raus nach Burlingame und rüber nach Charlestown gefahren, und er hatte auch dauernd vor, zu Tigs Farm rauszufahren, um sich ihre Schafe und die beiden großen Hunde anzusehen.
Als er also jetzt morgens um sieben, die Büchertasche auf dem Rücken, die »Red Sox«-Mütze tief ins Gesicht gezogen, die Water Street hinunterfuhr, nahm Hercel die linke Hand vom Lenker und, sobald er sich sicher fühlte, langsam auch die rechte. Eins, zwei, drei – doch dann geriet das Rad ins Wackeln, er packte den Lenker, das Rad schlenkerte hin und her, ein Auto hupte, aber eigentlich war alles okay, und er fuhr gleich wieder geradeaus. Es war ihm nur peinlich, das war alles. Das Dumme war, das Rad fing an zu wackeln, wenn er nervös wurde; vielleicht fing er an zu zittern, das Rad merkte es und zitterte dann auch. Wenn er also die Hände vom Lenker nehmen könnte, ohne nervös zu werden und sich Sorgen zu machen um das, was passieren könnte, dann würde es wohl klappen. Er war ein Angsthase, war es nicht so? Er hatte Angst, hinzufallen und sich wehzutun, und das machte ihn wütend auf sich selbst.
Doch nun war er beim Polizeirevier und sprang den Bordstein hinauf zur Eingangstreppe. Sollte er das Rad abschließen? Vielleicht war es besser. Schließlich war es hier voll von Gaunern. Bei diesem Gedanken fiel ihm ein, warum er gekommen war, und das machte ihn wütend. Diese verdammten Gauner! Er rannte die Treppe hinauf.
Der Vorraum war leer bis auf einen Polizisten hinter der Theke, der die Zeitung las. »Ich möchte ein Verbrechen melden«, sagte Hercel.
Der Polizist ließ seine Zeitung sinken, sagte aber nichts. Er sah müde aus, als wäre er die ganze Nacht auf gewesen.
»Jemand ist in unseren Keller eingebrochen und hat mein Haustier geklaut. Das Schloss wurde aufgeknackt.«
»Ach ja?« Der Polizist fing an, sich zu amüsieren.
»Ja. Meine Schlange ist geklaut worden, eine Kornnatter, eine richtig schöne.«
Vicki Lefebvre wachte an diesem Morgen auf der Couch auf. Die zwei Schals und der Wintermantel, mit denen sie sich zugedeckt hatte, waren auf den Boden gerutscht, und sie fror, obwohl die Sonne schon durch das Fenster schien. Sie brauchte einen Moment, um sich zu orientieren. Es war sieben Uhr.
Hastig rappelte sie sich auf. War Nina zu Hause? Sie stürmte die Treppe hinauf zu Ninas Zimmer und befürchtete das Schlimmste. Aber ihre Tochter schlief. Das braune Haar lag wirr auf dem Kissen, und die dichten Ponyfransen reichten fast bis an die Augenbrauen, ganz wie bei ihrer Lieblingssängerin Adele, deren Poster überall an den Wänden hingen.
»Wann bist du nach Hause gekommen?«, schrie Vicki.
Nina öffnete die Augen und sah ihre Mutter an. In diesem Moment hätte Vicki klar sein müssen, dass etwas nicht stimmte, denn Ninas Gesicht blieb ausdruckslos.
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