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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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Stücke zerbrach.
    »Möchten Sie was essen?«, fragte Jill fröhlich. »Kaffee, Eier, French Toast – sieht alles schrecklich gut aus.«
    Der unfreundliche Ausdruck blieb unverändert. »Ich will bloß hier raus, verdammt.«
    Jill stellte das Tablett auf den Tisch und versuchte ihre Überraschung zu verbergen. »Ich weiß, Sie haben einen furchtbaren Schock erlitten. Es muss schrecklich für Sie sein.«
    »Wieso schrecklich? Können Sie mir das sagen?«
    Ihrem Tonfall zum Trotz fragte Jill sich, ob Peggy überhaupt wusste, dass ihr Kind geraubt worden war. Wenn nicht, wollte Jill auf keinen Fall diejenige sein, die es ihr sagte. »Na ja, Ihr Baby …«
    »Kennen Sie den Film Rosemary’s Baby ?«, unterbrach Peggy sie. »So war das. Wissen Sie, was ich meine?«
    Jill hatte angefangen, ihre Kamera auszupacken, aber jetzt hielt sie inne. »Ich glaube nicht, nein.«
    »Ein Teufelsbaby. Ich bin froh, dass es weg ist.«
    Bevor Jill antworten konnte, kam ein Mann herein, gefolgt von dem Polizisten, der vor der Tür gestanden hatte. Der Mann war Woody Potter, aber Jill sah ihn jetzt zum ersten Mal. Trotzdem, und trotz seiner Stiefel und Jeans, vermutete sie, dass er ein Cop war.
    »Wer sind Sie?«, fragte Woody.
    Jill wollte etwas vom Frühstück erzählen, antwortete jedoch: »Ich heiße Jill Franklin, und ich arbeite bei der Brewster Times & Advertiser .«
    Woodys Zorn war eine Erleichterung, ein Hauch von frischer Luft. Er wurde rot im Gesicht. »Raus hier! Haben Sie keine Selbstachtung? Dem armen Mädchen wird das Baby geraubt, und Sie schleichen hier herein und wollen sie ausfragen? Was sind Sie für ein Mensch?«

3
    Der Junge fuhr im Zickzack auf der Water Street durch das Zentrum von Brewster. Frühmorgens war hier kein Verkehr. Im Sommer war das anders, da war die Straße voll von Autos und Motorrädern auf dem Weg zum Strand. Aber jetzt, Ende Oktober an einem Donnerstagmorgen um sieben Uhr, hatte er die Straße für sich allein – oder doch fast für sich allein, denn vor dem Brewster Brew parkte ein Lieferwagen in der zweiten Reihe. Der Junge hieß Hercel McGarty Jr., und er war, wie er sich sagte, der einzige Hercel in Brewster, der einzige Hercel in Washington County und wahrscheinlich der einzige Hercel in Rhode Island. Das gefiel ihm. Sein Vater hieß auch Hercel. Sein Vater war aus Oklahoma, und er sagte, in Oklahoma hießen viele Jungen Hercel, es sei da so verbreitet wie Joe-Bob. Oder doch fast. Sein Vater wusste nicht, woher der Name kam, es sei die Abkürzung von Hercules, nahm er an, aber Hercel Jr. sollte wohl lieber nicht rumlaufen und damit angeben. Das sei ein Geheimnis zwischen ihnen beiden. Hercules, der stärkste Mann der Welt. Nur war sein Vater jetzt wieder in Oklahoma und hatte seinen Namen mitgenommen. Hercel würde ihn erst in den Sommerferien wiedersehen. Nicht mal zu Weihnachten würde er ihn sehen. Stattdessen saß Hercel bei seinem Stiefvater fest, bei Carl Krause oder Mr. Krause, wie er sich nennen ließ. Hercel hatte Angst vor ihm, obwohl sein Dad gesagt hatte, er solle niemals vor irgendjemandem Angst haben. Natürlich hatte er noch seine Mutter, aber Hercel vermutete, dass sie inzwischen ebenfalls Angst vor Mr. Krause hatte, auch wenn sie es nicht zugab.
    Hercel war zehn und ging in die fünfte Klasse, doch jetzt hatte er noch eine wichtige Angelegenheit zu erledigen, bevor er mit seinem Rad hinüber zur Bailey Elementary School an der Ecke Gaspee und Bucklin fuhr: eine ernsthafte Angelegenheit, und es ging um Schlangen. Hercel war groß für sein Alter, blauäugig, dünn und blond. »Du siehst aus wie ein kleiner Hinterwäldler«, hatte Mr. Krause zu ihm gesagt. Hercel wusste nicht, ob das stimmte oder nicht, da er aussah wie sein Dad, und sein Dad aussah wie er. Wenn sie also wie Hinterwäldler aussahen, dann sahen sie zusammen so aus, und das sollte Hercel recht sein, obwohl er nicht genau wusste, wie Hinterwäldler eigentlich aussahen. Mr. Krause würde er danach nicht fragen, denn Mr. Krause hatte es nicht gern, wenn man ihm Fragen stellte. Im Gegenteil, er würde wütend werden.
    Warum seine Mutter Mr. Krause geheiratet hatte, war eins von diesen Rätseln. Oft, wenn Hercel dachte, er hätte was kapiert, machten Erwachsene irgendwas komplett Bescheuertes. Dass seine Mom Mr. Krause geheiratet hatte, war so was. Waren sie nicht prima ohne ihn zurechtgekommen? Natürlich war es schwer für sie gewesen, für ihn und Lucy zu sorgen, nachdem sein Dad weggegangen war. Lucy war seine

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