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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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hufeisenförmige Stütze gelegt und starrte auf den Fliesenboden. »Was mich plagt, ist der Rücken.«
    »Sie scheinen mir ziemlich verspannt zu sein.«
    »Vielleicht, weil ich Jungfrau bin.«
    Sie lachten beide.
    »Nur den Rücken«, sagte Hartmann dann. »Vielleicht auch die Schultern, wenn noch Zeit ist.«
    Gabe legte Hartmann die Hände ins Kreuz. Hartmann zuckte zusammen.
    »Nicht so empfindlich. Entspannen Sie sich. Sie haben schöne Haare. Sagen Ihnen die Mädels das?«
    »Schon länger nicht mehr.«
    »Machen Sie was damit?«
    Hartmann zuckte wieder zusammen. Der Rücken fühlte sich schlimmer an, nicht besser. »Ich wasche und bürste sie. Der Rest ist genetisch.«
    »Wie alt sind Sie – in den Vierzigern? Sie haben nichts Graues.«
    Wieso erkundigt er sich nach meinen Haaren? , dachte Hartmann. Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Was ist das für eine rote Schlange, die Sie da um den Hals tragen?«
    »Der Ouroboros. Die Schlange mit dem Schwanz im Maul. Das ist ein Symbol der Zyklizität und der ewigen Wiederkehr.« Gabe fing an, sich warmzureden. »Alles wiederholt sich. Was wir jetzt tun, haben wir schon unzählige Male getan, und wir werden es in der Zukunft noch unzählige Male wieder tun. Wenn die Materie endlich und die Zeit unendlich ist, dann müssen die Ereignisse sich wiederholen. Das ist nur logisch. Man kann nie wissen, wie oft ich Sie schon massiert habe. Mehr als einmal, das steht fest.«
    »Solange Sie die Preise nicht erhöhen.« Er hätte sich denken sollen, dachte Hartmann, dass die Schlange so etwas bedeutete. Wie man auf solche Ideen kam, konnte er sich nicht vorstellen.
    »Der Ouroboros ist eins unserer ältesten Symbole. Viele Leute glauben, als die ersten Wanderer Afrika vor 70 000 Jahren verließen, nahmen sie dieses Symbol mit. Sehen Sie, das ist ja keine europäische Schlange. Sie ist riesig. Sie ist afrikanisch.«
    Gabe hatte aufgehört, Hartmanns Rücken zu bearbeiten. Jetzt fing er wieder an, und wieder zuckte Hartmann zusammen. »Entspannen Sie sich«, wiederholte Gabe. »Lassen Sie sich von der Strömung tragen. Sie wissen, was das bedeutet? Konzentrieren Sie sich darauf. Betrachten Sie es als die Mitte einer Zielscheibe.«
    Nach einer Weile fragte Hartmann: »Und was macht diese Schlange für Sie?« Die Hände des Mannes waren warm, und sie kneteten Hartmanns Kreuz mit langen, festen Strichen.
    »Sie erinnert mich an Anfang und Ende. Woher ich komme, wohin ich gehe. Sie erinnert mich daran, dass alles, was ich für real halte, in Wahrheit eine Illusion ist, eine Illusion, die sich im Laufe der Zeit wieder und wieder ereignet – genau wie in dem Film Matrix , nur anders. Haben Sie sich je gefragt, wo wir wären, wenn die Schlange im Garten Eden nicht gewesen wäre?«
    »Darüber habe ich nie viel nachgedacht.«
    »Wir wären immer noch im Garten, aber wir wüssten nichts. Wir wären ahnungslos. Nein, wir wären dumm. Haben Sie sich mal gefragt, wie es wäre, ganz ohne Wissen?«
    »Keine Zeitungen.«
    Gabe drückte fest zu, und Hartmann grunzte. »Sie sind ein Witzbold, was.« Das war keine Frage.
    Hartmann entschuldigte sich. »Das war nicht respektlos gemeint. Wir alle müssen an etwas glauben, oder?«
    »Es ist nicht so, dass ich einfach an Schlangen glaube. Ich respektiere sie.«
    »Aber Sie glauben an den Ouroboros.« Hartmann fragte sich, ob Gabe von der Sache im Krankenhaus wusste.
    »Ich glaube nicht an irgendeine Riesenschlange mit dem Schwanz im Maul. Das ist ein Symbol. Ich glaube an das, was es symbolisiert. Sind Sie katholisch?«
    »Ich bin katholisch erzogen.« Hartmann war seit zwanzig Jahren nur noch zu Hochzeiten und Beerdigungen in der Kirche gewesen.
    »Ich auch, doch dann habe ich mich weiterbewegt.«
    Hartmann merkte, dass es seinem Rücken besser ging.
    »Im Augenblick«, sagte Gabe, »bin ich Pantheist. Alles ist Teil des höchsten Wesens – Sie, diese Bank, Ihre Schuhe, ich, alles. Alles ist Energie, und es wiederholt und wiederholt sich. Scheinbar ist vieles durcheinander, aber in Wahrheit ist es nur eins.«
    »Wie der Ouroboros.«
    »Genau.«
    »Solange es Sie glücklich macht.« Hartmann behielt einen unverbindlichen Ton bei. Ihm wollte nicht einleuchten, warum die Leute alles so kompliziert machten. Selbst wenn man versuchte, die Dinge einfach zu halten, wurden sie ja von ganz allein kompliziert. Warum also musste man sie von vornherein kompliziert machen? Dann hatte man doch nur Chaos.
    Zehn Minuten später waren Hartmanns fünfzig Minuten um.

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