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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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weniger als eine Meile weit im Westen war die Zufahrt zum Naturschutzgebiet des Great Swamp. Er hatte ein paar Autos gesehen, aber keine Menschen. Irgendwann waren drei struppige Hunde zwischen den Bäumen hervorgekommen und über die Straße gerannt, doch dann entschied Hartmann, dass es Kojoten gewesen waren.
    Er war unsicher im Blick auf das, was er vorhatte. Es war unklug, vielleicht illegal und womöglich gefährlich. Diesen Erwägungen gegenüber standen seine Zwillingstöchter bei seiner Ex-Frau in L . A . Wenn sich das aktuelle Unternehmen als profitabel erwies, würde er dorthin ziehen können. Von dem Geld würde er leben können, bis er einen Job gefunden hätte. Das war der Vorteil am Dasein eines Versicherungsdetektivs: Man wurde immer gebraucht.
    Jedes Mal, wenn er dachte, es wäre ein Fehler, in den Sumpf hinauszufahren, hatte er deshalb das Gefühl, seine Töchter zu verstoßen und sie aus seinem Leben zu drängen. Aber wenn sie nicht gewesen wären, hätte er niemals getan, was er jetzt tat. Wenn es so illegal war, wie es sich anhörte, konnte die bloße Tatsache, dass er etwas darüber wusste, ihn zum Komplizen machen, und im günstigsten Fall würde er seinen Job und seine Detektivlizenz verlieren.
    Warum Hartmann ins Sumpfland des Great Swamp hinausgefahren war – nun, das hatte mit Indianern zu tun. So hatte man es ihm jedenfalls gesagt. Es hatte etwas mit indianischen Ansprüchen und indianischen Bestattungen zu tun. Es hatte etwas mit der Auflösung der indianischen Stammesstrukturen durch den Staat Rhode Island in den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts zu tun, und mit dem Verlust von sechstausend Hektar Land. Nachdem sie hundert Jahre lang versucht hatten, dieses Land zurückzubekommen, hatte man ihnen vor dreißig Jahren knapp siebenhundertfünfzig Hektar zurückgegeben. Groll gab es deswegen immer noch, aber wie es zu Grabräuberei geführt hatte, wusste Hartmann nicht. Möglicherweise hatten Indianer weiße Friedhöfe geplündert, die auf diesen sechstausend Hektar angelegt worden waren, vielleicht hatten auch Weiße irgendwelche Indianergräber verwüstet. Es hatte aber auch etwas mit Spielcasinos zu tun, mit dem Wunsch der Indianer, ein Casino in Rhode Island zu haben, und mit dem Bemühen der Connecticut-Indianer – die ein riesiges Casino gleich jenseits der Staatsgrenze betrieben –, sie daran zu hindern. Doch hinter den Indianern von Rhode Island stand Harrah’s Entertainment, und dieser Casinokonzern hatte eine Menge Einfluss.
    Hartmann interessierte sich für den Versicherungsaspekt. Das Dorf West Kingston bildete zusammen mit ein paar anderen Dörfern das Städtchen South Kingstown: achtzig Quadratmeilen, dreißigtausend Einwohner. Zu South Kingstown gehörten der Great Swamp und ein Teil des Indianerlandes. Verwüstete Gräber, unklare Zuständigkeiten, internationale Konzerne, wütende Kleinstädter sowie Sumpf-Yankees: arme Landbewohner, die erbittert auf ihrer Unabhängigkeit bestanden und deren Wurzeln in South Kingstown über mehrere hundert Jahre zurückreichten – was da in der Luft lag, dachte Hartmann, waren Gerichtsprozesse. Wenn alles so war, wie man es ihm geschildert hatte, würden Versicherungsfirmen ihn gern für seine Dienste bezahlen. Aber die Geschichte, die er in Boston gehört hatte, passte nicht recht zu dem, was er heute Morgen erfahren hatte. Zum Beispiel hatte der Kerl in Boston nicht erwähnt, dass die Indianer ein Casino bauten.
    Hartmann bog nach links in die Liberty Lane ein und fuhr an einer Reihe kleiner Häuser und Farmen vorbei. Die Straße endete an einem Bahngleis. Ein Feldweg führte nach links an der Bahnlinie entlang. Nach einer halben Meile kamen ein paar Häuser und Garagen, die aber bis auf vereinzelte Außenbeleuchtungen im Dunkeln lagen. Der Wald wurde dichter, und im Scheinwerferlicht sah er Büsche von Berglorbeer. Nicht lange, und er kam zu einem Parkplatz und einer offenen Schranke, und dahinter wurde die Straße so schmal, dass sie kaum mehr als ein Pfad war. Ob er sich fragte, warum die Schranke geöffnet war? Er bemerkte es kaum.
    Doch je holpriger und schmaler der Weg wurde, desto größer wurden seine Zweifel. Man hatte ihm gesagt, er solle zu dem alten Hangar am Ufer des Worden Pond fahren. Bis dahin waren es noch ungefähr zwei Meilen. Aber nach nicht einmal einer Viertelmeile bremste er und hielt an. In diesen Schlaglöchern konnte er sich leicht eine Achse brechen, und natürlich hatte der Ford Focus keinen

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