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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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gelegt, und dann hatte er dagesessen, still wie ein Standbild.
    »Ist alles in Ordnung?«, hatte sie gefragt. »Was ist passiert?«
    »Rede jetzt nicht mit mir«, hatte Carl mit dieser scheinbaren Ruhe gesagt, und sie war in die Küche gegangen und hatte sich weiter um das Abendessen gekümmert, obwohl ihre Hände zitterten. An diesem Abend hatte er ihr erzählt, er sei entlassen worden, aber ohne eigene Schuld. Ein Kunde sei frech geworden, und er dann eben auch.
    Davor, im April, hatte die Baufirma ihn entlassen, weil er eine »Meinungsverschiedenheit« mit einem anderen Arbeiter gehabt hatte. Als sie mit ihm darüber sprach, hatte er gesagt: »So was kommt vor. Ich bin der Neue, und ich bin besser als ein paar von den Alten. Da waren einige stinkig.«
    Das hatte sie als die Wahrheit akzeptiert, und sie hatte auch akzeptiert, dass Howard Phelps im Unrecht gewesen war, als er ihn feuerte, wenn auch schon nicht mehr so bereitwillig. Aber Carl war ein Überredungskünstler. Er hatte ihr erzählt, was passiert war, und es leuchtete ein. Außerdem liebte sie ihn und hatte eine Heidenangst davor, dass etwas zwischen ihnen schiefgehen könnte. Doch wenn Carl wütend geworden war, hatten nach seiner Darstellung immer andere Leute Schuld gehabt. Am Morgen, als er mit der Schrotflinte auf die beiden Polizisten und übrigens auch auf Hercel gezielt hatte, da hatte er behauptet, sie seien in den Keller eingedrungen, und er habe nicht gewusst, dass sie Polizisten waren. Ob sie etwa erwarte, dass er da nichts unternehme? Und er habe ja auch gar nicht vorgehabt, auf sie zu schießen. Er habe ihnen nur Angst einjagen wollen.
    »Aber musstest du sie denn mit der Schrotflinte bedrohen?«, hatte Harriet gefragt. »Sie trugen Krawatten und Anzüge, und sie waren mit Hercel zusammen. Es ist doch verrückt, anzunehmen, dass sie Einbrecher wären.«
    Da hatte er sie geschlagen. Er hatte sie nicht einmal vorgewarnt, hatte seine Wut nicht gezeigt. Ihre Beklommenheit, die in den letzten Monaten weiter zugenommen hatte, war noch stärker geworden.
    Nach dem Rauswurf bei Howard Phelps hatte Carl einen Hausmeisterjob angenommen, verschloss, versorgte und reparierte ein halbes Dutzend Sommerhäuser in Hannaquit, wenn ihre Eigentümer am Labor Day abgereist waren. Er arbeitete jetzt außerdem bei Hamilton Brantley, sozusagen als Mädchen für alles, aber was immer Carl da tat, es gefiel ihm nicht. Ob es daran lag, dass er Brantley nicht mochte, oder an der Tatsache, dass er mit anderen Leuten zusammen sein musste, oder ob ihm bei der Arbeit im Bestattungsinstitut mulmig war, wusste Harriet nicht.
    Im August also hatte sie die ersten Veränderungen bemerkt. Er war einerseits stiller und andererseits jähzornig geworden. Sie hatten nicht mehr so viel Zeit miteinander verbracht, vielleicht weil sie mehr mit anderen Arbeiten beschäftigt war, seit die Kinder wieder in die Schule gingen. Für Lucy hatte der Kindergarten angefangen, und sie wusste noch nicht, ob es ihr dort gefiel. Mindestens zweimal in der Woche sagte sie: »Heute gehe ich hin, aber morgen will ich nicht.« Harriet redete auf sie ein, versuchte sogar, sie zu bestechen, und versprach, mit ihr in den Park zu gehen oder ins Kino oder zum Abendessen Makkaroni mit Käse zu machen. Lucy hatte einen starken Willen, genau wie ihr Vater, doch das war eine andere Geschichte. Hercel war einfacher und konnte sich allein vergnügen. Aber gerade seine Unabhängigkeit bereitete Harriet allmählich Sorge. Er war anscheinend nicht daran interessiert, Freunde zu haben, und verbrachte zu viel Zeit allein.
    Wenn sie daran dachte, wie gut noch im Juni alles gewesen war, kamen ihr die Tränen. Carl war glücklich gewesen, und sie waren alle zusammen an den Strand gefahren. Auch wenn er nicht viel Zeit mit den Kindern verbrachte, schien er sie doch zu mögen, und sie hoffte, allmählich werde er sie lieben lernen. Und dann wurde ihr klar, wann sie die Veränderung zum ersten Mal bemerkt hatte: als Carl befohlen hatte, Hercel habe ihn mit Mr. Krause anzureden.
    Harriet hatte protestiert, aber Carl erklärte, er brauche es als Zeichen des Respekts. Als Harriet weiter protestiert hatte, war er auf eine Weise wütend geworden, die sie bei ihm noch nicht erlebt hatte. Er hatte sie beschuldigt, eine schlechte Mutter zu sein und den Kindern alles durchgehen zu lassen, auch wenn er nicht gesagt hatte, was »alles« war. Ein paar Tage später hatte er sich entschuldigt, doch kurz danach hatten sie aufgehört,

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