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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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Levitation, mehrere Bücher über Leute, die von Fliegenden Untertassen entführt worden waren, ein Buch mit dem Titel Wie man flirtet und das Buch Verbotene Wissenschaften , in dem erklärt wurde, wie man die Energie aus dem Weltall nutzbar machte und worin die wahre Funktion der Cheopspyramide bestand.
    Baldos Neugier in Bezug auf Hercel war seit Beginn des Schuljahrs so groß geworden, dass er angefangen hatte, ihm zu folgen. Nicht dauernd, aber manchmal. Baldo sagte sich, es könnte ja etwas passieren, das ihm ermöglichte, Hercel einen kleinen Dienst zu erweisen. Zum Beispiel könnte er ihn vor einem heranrasenden Auto zurückreißen oder vor dem Ertrinken retten. Solche unausgeglichenen Beziehungen haben wirklich etwas Jämmerliches.
    Baldo wusste nichts von Hercels Schlange, und er wusste auch nicht, warum Hercel an dem Tag nicht in der Schule gewesen war. Ein Bazillus machte die Runde, und mehrere Schüler hatten schon vorher den einen oder anderen Tag gefehlt. Baldo hatte sogar gehört, wie andere nach der Schule von Schlangen im Krankenhaus geredet hatten, von einer ganzen Lastwagenladung Schlangen. Eine dicke Krankenschwester war aus dem Fenster gesprungen, und drei Patienten hatten einen Herzinfarkt gekriegt und waren gestorben. Ein verschwundenes Baby wurde nicht erwähnt. Das würde später kommen. Aber auf seine hartnäckige Art wollte Baldo wissen, ob mit Hercel alles in Ordnung war. Vielleicht hatte ihn ja eine der Schlangen gebissen. Wie bei vielen Zehnjährigen war die Grenze zwischen Realität und Möglichkeit eine unscharfe Linie.
    Bis zum Ende der Sommerzeit war es zwar noch eine Woche, doch um halb sechs war es fast dunkel. Wolken waren aufgezogen, und in der Nacht würde es regnen. Etwa um diese Zeit war Baldo unterwegs zur Ecke Newport und Hope und zu dem Bungalow, in dem Hercel mit seiner Schwester Lucy, seiner Mutter und seinem Stiefvater wohnte. Dass er durch die Fenster ins Haus spähte, konnte er sich nun doch nicht recht vorstellen, aber wenn er langsam genug vorbeischlenderte, würde Hercel vielleicht herauskommen, und sie könnten ein paar Worte wechseln. Von Carl Krause wusste er nichts, und er hätte ihn nicht erkannt, wenn er ihm begegnet wäre.
    Hercel wartete nicht am Fenster darauf, dass Baldo vorbeikam. Die beiden Giebelfenster über der vorderen Veranda waren hell, das Erdgeschoss lag im Dunkeln, und im Keller brannte Licht. Baldo blieb auf der anderen Straßenseite im Schutz eines alten Ahorns stehen und überlegte, was er tun sollte. Die kläffenden Hunde im Nachbarhaus schlugen kurz an. Das war mehr eine allgemeine Warnung als zielgerichtete Empörung, aber Baldo genügte es, um zu dem Schluss zu kommen, dass er sich beeilen müsste, wenn er sich dem Haus wirklich nähern wollte. Autos waren so gut wie keine unterwegs, und kein Fußgänger war auf der Straße. In Brewster aßen die Leute früh zu Abend.
    Baldo entschied sich nicht dafür, durch das Kellerfenster zu schauen. Eher war es so, dass er von ganz allein in diese Richtung spazierte. Er trug Jeans und ein dunkles Sweatshirt und hatte schwarze Haare. Fred Bonaldo hatte auch schwarze Haare gehabt, bevor sie ausgefallen waren. In der furchtbaren Gewissheit dessen, was kommen würde, wusste Baldo schon jetzt, dass man ihn eines Tages Baldo »Glatzkopf« Bonaldo oder Baldy Bonaldo nennen würde. Solche Erkenntnisse können zu Bitterkeit oder zu einer hausgemachten Philosophie führen, bei der man an den Schneidezähnen saugt.
    Wenige Augenblicke später lag Baldo auf dem Bauch hinter einem Busch und spähte durch das Kellerfenster. Das Erste, was er sah, war der leere Käfig, in dem die Schlange gewesen war, doch er wusste nicht, dass der Käfig eine Schlange enthalten hatte. Eine Rennmaus, dachte Baldo. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Schlange im Tierheim von Brewster. Sie war ein Beweismittel, aber Chief Bonaldo hatte noch nicht entschieden, was sie bewies. Sie konnte eine Waffe sein. Ein Täter. Ein Opfer. Das war alles noch in der Schwebe. Als Hercel gesagt hatte, er wolle seine Schlange wiederhaben, hatte Fred Bonaldo jedenfalls erklärt, das gehe nicht.
    Baldo schob sich ein bisschen weiter voran, um mehr von dem Kellerraum zu sehen, und erblickte Hercel, der dort auf dem Zementboden lag. Sein erster Gedanke war, Hercel wäre verletzt, doch er hatte die Augen offen, und sein Gesichtsausdruck war ruhig und hochkonzentriert. Er lag auf dem Bauch, hatte die Arme vor sich aufgestützt, und sein Kinn ruhte auf den

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