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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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war? Unbeherrscht und potenziell gewalttätig? Das waren keine Adjektive, die er Carl zu Ohren kommen lassen wollte. Er wusste auch, dass Baldo darüber lachen würde. Welchen Grund hätte er sonst nennen können? Die gesellschaftliche Stellung der Familie? Dass sie nicht römisch-katholisch waren? Nicht in Brewster geboren? Die falsche Automarke fuhren?
    »Vielleicht hast du recht«, hatte Fred gesagt. »Er sieht aus wie ein guter Junge. Vergiss nur nicht, wenn du jemanden kennenlernst, zeigt er sich immer von seiner besten Seite. Erst wenn du ihn besser kennst, kommen seine komischen Eigenschaften zum Vorschein.«
    »Für Hercel gilt das nicht«, hatte Baldo eifrig beteuert. »Anfangs konnte er mich nicht ausstehen. Es hat lange gedauert, bis er mich mochte. Er ist sozusagen langsam auf den Geschmack gekommen.«
    Und so beschloss Fred, in Oswego anzurufen. Vielleicht gab es dort einen offenen Haftbefehl gegen Carl Krause. Oder etwas ähnlich Nützliches.
    Der Polizeichef von Oswego war Matthew McGarrah, und es hatte mehrere Anrufe und eine Menge Erklärungen erfordert, bevor Fred dessen Privatnummer bekommen hatte. Zunächst ergingen sie sich in einer längeren Plauderei, bevor sie endlich zur Sache kamen. »Kennen Sie eigentlich den alten So-undso?« »Wir hatten schon zwanzig Zentimeter Schnee.« Aber dann kam Chief MacGarrah zum Wesentlichen: »Carl ist ein prima Kerl, wenn er seine Medikamente nimmt.«
    Fred überlief es kalt. »Was meinen Sie damit?«
    »Er wird paranoid und ein bisschen gewalttätig. Er hat einen Mann in einer Bar zusammengeschlagen. Wenn er seine Medikamente nimmt, ist er wirklich charmant. Dann tut er alles für Sie, Sie brauchen ihn nur zu fragen. Aber er war dreimal zur EKT im Benjamin Rush. Hat ihm ungeheuer gutgetan. Allerdings immer nur für eine Weile.«
    Die Bitte um Erläuterung ergab, dass Carl in einer Klapsmühle in Syracuse einer Elektrokrampftherapie unterzogen worden war, genau wie Jack Nicholson in Einer flog über das Kuckucksnest . Zapp zapp , und das Gehirn verschwand in der örtlichen Stromversorgung. Kein Wunder, dass Carl sich so komisch benahm. Fast hätte Fred Mitleid mit ihm bekommen.
    Sie plauderten noch ein bisschen, und Fred bekam Namen und Telefonnummern eines Psychiaters in Oswego, der Carl behandelt hatte, und mehrerer Ärzte in der Benjamin-Rush-Klinik.
    »Carl ging es zwei Jahre lang gut, bevor er nach Osten gezogen ist. Ich dachte, er wäre geheilt. Ist alles in Ordnung mit ihm?«
    »Vielleicht«, sagte Fred. »Wir waren nur neugierig, das ist alles.«
    Als Nächstes rief Fred bei Captain Brotman an und gab die Informationen weiter. Seiner Ansicht nach wäre es besser, wenn Brotman Kontakt zu den New Yorker Psychiatern aufnehme. Er hatte mehr Gewicht und würde sich durch das Gerede von der Verschwiegenheitspflicht nicht abschrecken lassen. Herrgott noch mal, diese Psychiater waren doch keine Priester. Tatsächlich waren die meisten ja Atheisten oder Juden.
    Bobby Anderson trennte sich gegen halb zwölf auf dem Parkplatz von Woody, stieg in seinen Z, ließ den Motor ein paarmal aufheulen, um die Eichhörnchen zum Flitzen zu bringen, und fuhr zu Brantleys Bestattungsinstitut am anderen Ende der Water Street. Obwohl er schon viele Tote gesehen hatte, empfand er Unbehagen bei der Phase des Übergangs zwischen Tod und Friedhof oder Krematorium, in der das Make-up aufgetragen und die Toten wieder zum Leben erweckt werden, bei allseits guter Laune. Er hatte Leute gesehen, die bei Autounfällen zermatscht und wieder zusammengesetzt worden waren und aussahen wie das blühende Leben, solange man blinzelte. Er fand das gespenstisch. »Die Menschen brauchen einen Abschluss«, sagte Shawna dazu. »Was mich angeht«, hatte er geantwortet, »ist der Tod Abschluss genug. Es ist, als erweckten sie jemanden wieder zum Leben und brächten ihn dann noch einmal um.«
    Das Bestattungsinstitut war, wie so viele an der Ostküste, zu Anfang eine viktorianische Villa gewesen, die einem einheimischen Bonzen gehört hatte: ein asymmetrisches graues Haus mit einem Türmchen auf der linken Seite, einer Veranda, die um die Vorderfront herumführte, und einem einzelnen Giebel mit drei Fenstern im zweiten Stock. Das Dach war mit regelmäßig gemusterten Schieferpfannen gedeckt. Nur im Süden, dachte Bobby, fand man Beerdigungsinstitute in Bungalows oder sogar Mobilheimen.
    Bobby parkte an der Rückseite und überprüfte sein Lächeln. Ein paar Augenblicke später saß er in der ruhigen

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