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Das Fest der Schlangen

Das Fest der Schlangen

Titel: Das Fest der Schlangen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Dobyns
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Carl beschwert. Hat Ihr Interesse einen speziellen Anlass?«
    Bobby hatte das Gefühl, vieles und gar nichts erfahren zu haben. »Hat er schon mal Wutausbrüche gehabt?«
    Brantley lachte. »Haben wir die nicht alle mal? Aber im Ernst – ich habe wohl festgestellt, dass er manchmal reizbar sein kann, doch das habe ich der Tatsache zugeschrieben, dass er eben, nun ja, nicht gesellig ist. Streit hat er jedenfalls mit niemandem hier gehabt. Ich hoffe, ich kann ihn ein wenig ausbilden – auf ganz einfachem Niveau –, damit er im Vorbereitungsraum helfen kann. Da ist es immer ruhig, nur sind manche Leute allzu zart besaitet, wie Sie sich vielleicht denken können.«
    Als Nächstes machten sie einen Rundgang durch das Bestattungsinstitut. Brantleys Frau hatte das Erdgeschoss großenteils selbst gestaltet. »Jenny hat einen wundervollen Blick für Details. Das ist eine Gabe.« Bobby gefielen die Mietsärge für Leute, die sich einäschern lassen wollten, und er hörte mit Entsetzen, dass manche Familien zwölf Riesen für einen Sarg ausgaben, der in Rauch aufgehen würde. Es gefiel ihm, dass Leute sich mit ihren Golfschlägern, ihrem Angelzeug oder ihren Barbiepuppen begraben ließen, und er hörte mit Entsetzen von einer Frau, die ihre beiden Katzen hatte einschläfern lassen, damit sie zu ihr in den Sarg gelegt werden könnten. Beim Anblick des Vorbereitungsraums und des Balsamiertisches fröstelte ihn.
    Ham Brantley lachte. »Die Toten haben für mich nichts Geheimnisvolles.«
    Woody war dabei, die Personalbögen der Männer und Frauen zu lesen, die im Laufe der Woche vor der Entführung des Summers-Babys Zugang zur Säuglingsstation gehabt hatten, als es klopfte.
    »Herein!«, rief er.
    Dr. Jonathan Balfour trat ein und schloss die Tür hinter sich. Sein Gesichtsausdruck war abwechselnd arrogant und betreten. »Ich habe ein Geständnis zu machen.«
    Dr. Balfour war ein gertenschlanker, beinahe zierlicher junger Mann mit dichtem blondem Haar, das ihm wellig in die Stirn fiel. Er hatte die langen Finger eines Basketballspielers oder Pianisten. In seiner Khakihose mit dem weißen Hemd unter einen blauen V-Ausschnitt-Pullover und seinen Slippern, Marke Sperry Top-Sider, sah man ihm den Absolventen einer altehrwürdigen Ostküsten-Uni auf Anhieb an.
    »Ach?«, sagte Woody unverbindlich.
    »Alice war bei mir, als sie auf der Entbindungsstation hätte sein sollen. Wir hatten Sex. Es ist klar, dass Sie es herausfinden werden, und deshalb wollte ich es Ihnen vorher sagen. Ich weiß nicht, wessen Schuld es war. Wir wollten es beide. Ich hatte sie wochenlang beobachtet, und als ich feststellte, dass sie genauso empfand, schien uns keine andere Wahl zu bleiben. Jetzt wird es sicher zu meiner Entlassung führen. Höchstwahrscheinlich zu ihrer auch. Sie können es ja wohl kaum geheim halten, oder? Selbstverständlich werden Sie tun, was Sie tun müssen. Ich fühle mich extrem schuldig, was das verschwundene Baby angeht.« Dr. Balfour stand mit gefalteten Händen scheinbar demütig vor ihm.
    »Was Besseres fällt Ihnen nicht ein?« Woody begriff wütend, dass Balfour die Babys in Gefahr gebracht hatte. »Ihretwegen ist ein Kind verschwunden.«
    »Sie haben ganz recht, wenn Sie mich verachten. Ich verachte mich ja selbst. Das alles war reines Pech. Ich bezweifle, dass Alice sich mehr als zehn oder fünfzehn Minuten von ihrem Arbeitsplatz entfernt hat. Sie war höchst beunruhigt deswegen. Im Grunde ist sie ein gutes Mädchen. Das müssen Sie mir glauben.«
    Woody blieb kaum noch höflich. »Mir kommt es nicht wie Pech vor.«
    »Ich meine, ich hätte mich bremsen sollen, als mir klar wurde, dass ich sie auf ungehörige Weise anschaute. In dem Moment sah es ganz einfach und unkompliziert aus – zwei Erwachsene, die ihrem Verlangen nachgeben. Aber es war nichts Alltägliches. Wochenlang habe ich beobachtet, wie ihre Schenkel sich bewegten, ich habe ihre Brüste beobachtet. Dass sie genauso empfand, war der einzige Funke, den wir noch brauchten. Wir sind übereinander hergefallen wie Tiere.«
    »Und was war’s dann? Brennende Leidenschaft – oder haben Sie einen Quickie runtergerissen?«
    Balfour sah Woody voller Abneigung an. »Ein bisschen von beidem, ehrlich gesagt.«
    »Kommt so etwas in Krankenhäusern oft vor?«
    »Ich habe gehört, dass es passiert. Aber niemals mir.«
    »Ist Ihnen klar, dass wir Alice Alessio im ganzen Staat suchen? Dass wir ein paar hundert Arbeitsstunden auf diese Suche verwandt haben?«
    Dr. Balfour wollte

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