Das Fest der Schlangen
hatte. Derek hatte zurückhaltend angeboten, sie zu heiraten, doch so eilig hatte sie es damit nicht gehabt. Er war ein kurzfristiges, kein langfristiges Vergnügen für sie. Wandern, Skilaufen, Camping, Sex – dafür war er super gewesen, aber wie lange kann man sein Leben dem Spaß widmen? Außerdem jammerte er zu viel.
Erst als das Baby geboren war, hatte Jill begriffen, dass sie Luke als Antwort auf die Frage betrachtet hatte, was sie nach dem College anfangen wollte. Will ich Lehrerin werden oder Journalistin? Will ich ins Peace Corps eintreten, mir einen Job in der Verlagsbranche suchen, in einer Buchhandlung arbeiten oder als Trainerin im Mädchenfußball? Lacrosse, Basketball, Softball? Nein, ich will ein Kind haben.
Also war Jill nach dem Examen nach Wakefield zurückgekehrt und wieder bei ihren Eltern eingezogen, die sie zum Glück liebten. Anfangs war Derek zweimal im Jahr an die Ostküste geflogen, um Luke zu besuchen, aber Luke war für ihn eher eine Kuriosität als ein Sohn gewesen, und als er keine Kuriosität mehr war, hatten sich die Abstände zwischen den Besuchen vergrößert. Er hatte ihr Unterhalt für das Kind angeboten, doch weil sie sich für ihre Schwangerschaft allein verantwortlich fühlte, hatte sie abgelehnt. Das Geld hätte außerdem ein Gefühl der Verpflichtung verstärkt, das sie nicht haben wollte.
Nachdem das geklärt war, hatte sie eine Reihe von langweiligen Teilzeitjobs angenommen, die ihrer Rolle als Mutter nicht in die Quere kamen. Als Luke älter wurde, hatte die Qualität der Jobs zugenommen, aber es waren weiterhin zweckmäßige Jobs gewesen, an die sie zufällig geraten war. Sie hasste keinen davon, nur waren sie einfach langweilig. Die Arbeit als Reporterin für die Brewster Times & Advertiser war noch die interessanteste, erst recht, als sie endlich mehr tun durfte, als nur über gesellschaftliche Ereignisse zu berichten. Jetzt befürchtete sie jedoch, dass sie für ihr Interesse einen ethischen Preis zu zahlen hatte. Es hatte Spaß gemacht, im Krankenhaus herumzuschleichen und Peggy Summers ausfindig zu machen. Es hatte Spaß gemacht, Hercel McGarty und Baldo Bonaldo praktisch zu kidnappen und Hercel dazu zu bringen, seine Schlange Satan zu taufen – aber vielleicht war es kein guter, sauberer Spaß gewesen. Jetzt war etwas Scheußliches passiert, und Jill, die ihr moralisches Empfinden auf dem Sportplatz entwickelt hatte, war nicht damit einverstanden, es in die Zeitung zu bringen. Deshalb fuhr sie zum Polizeirevier. Indessen kommt es selten vor, dass eine Handlung nur auf einen einzigen Beweggrund zurückgeht, und so mag es sein, dass Jill – sie hätte es bestritten – teilweise von der Aussicht motiviert war, Woody wiederzusehen.
Wie es bei den meisten widersprüchlichen Wünschen so geht, hoffte sie, Woody zu sehen, und zugleich hoffte sie, er wäre nicht da. Doch als der Officer am Empfang ihr sagte, Woody sei oben, und er werde ihn anklingeln, sobald Jill ihm gesagt habe, worum es gehe, durchströmte sie eine Woge der Freude zusammen mit ein paar kleineren Wogen von Verlegenheit, Schüchternheit und Verlangen.
»Sagen Sie ihm, es geht um Peggy Summers«, erklärte sie.
Ein paar Augenblicke später wurde sie in Woodys Büro geführt. Das Gespräch mit Dr. Balfour lag noch nicht lange zurück, und im Augenblick hatte Woodys Glaube an die Menschheit einen Tiefpunkt erreicht. Erfreut sah er Jill hereinkommen.
»Ich habe nichts für die Presse. Was ist mit Peggy Summers?«
Jill ließ die Tür offen und trat an Woodys Schreibtisch. »Zunächst mal habe ich heute Morgen Alice Alessio gesehen. Sie ging in den kleinen Supermarkt in der Ash Street, gegen neun Uhr dreißig.«
»Ich weiß schon, wo sie ist. Was ist mit Peggy?«
»Ich habe heute Morgen mit ihr gesprochen. Ich dachte, Sie möchten wissen, was sie gesagt hat.«
»Schießen Sie los.«
»Darf ich mich setzen?«
»Können Sie nicht gleichzeitig stehen und reden?«
»Ungebührlich« war eins von Jills neuen Lieblingswörtern, und in letzter Zeit hatte sie es im Rahmen ihrer inneren Monologe eingeübt. Woody hatte ihr soeben eine neue Gelegenheit gegeben, es zu benutzen. Das war noch das Beste, was sich über seine Frage sagen ließ.
»Ich bin mehr oder weniger gewaltsam in ihr Haus eingedrungen und habe mich in ihr Zimmer gemogelt. Sie wollte nicht reden, aber ich habe sie doch dazu gebracht.«
Einen großen Teil dessen, was jetzt folgte, wusste Woody schon von Bobby Anderson, doch er ließ Jill
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