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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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geht’s dir, Pedro Livio? Er wollte ihnen sagen: ›Jetzt, wo der Vogel tot ist, besser‹, aber er brachte nur Gemurmel hervor.
    »Das mit dem Neger scheint ernst zu sein«, sagte Imbert leise.
    Seine Freunde nannten ihn also Neger, wenn er nicht dabei war. Was machte das schon. Sie waren seine Freunde, verdammt: keinem ging der Gedanke durch den Kopf, ihm den Gnadenschuß zu verpassen. Alle fanden es normal, ihn ins Auto zu setzen, und jetzt brachten sie ihn zu Ghana und Juan Tomás Díaz. Das Brennen im Magen und im Arm war schwä cher geworden. Er war bei klarem Bewußtsein, er verstand alles, was sie sagten. Tony, Antonio und der Türke waren anscheinend ebenfalls verletzt, wenn auch nicht schwer. Antonio und Salvador hatten Wunden durch Streifschüsse, an der Stirn der eine, am Kopf der andere. Sie hielten Taschentücher in der Hand und tupften sich die Wunden ab. Ein Geschoß hatte Tonys linke Brustwarze geritzt, er sagte, das Blut beflecke sein Hemd und seine Hose.
    Er erkannte das Gebäude der Staatlichen Lotterie. Hatten sie die alte Sánchez-Landstraße genommen, um auf einer weniger befahrenen Route in die Stadt zurückzukehren? Nein, das war nicht der Grund. Tony Imbert wollte bei seinem Freund Julito Senior vorbeifahren, der in der Avenida Angelita wohnte, und von dort aus General Díaz anrufen und ihm mit dem vereinbarten Satz – »Die Täubchen sind fertig für den Bratofen, Juan Tomás« – mitteilen, daß sie im Begriff waren, die Leiche zu Pupo Roman zu bringen. Sie hielten vor einem unbeleuchteten Haus. Tony stieg aus. Niemand war im Umkreis zu sehen. Pedro Livio
    hörte Antonio: Sein armer Chevrolet war von zahllosen Schüssen durchlöchert und hatte einen platten Reifen. Pedro Livio hatte es gespürt, er verursachte beim Fahren ein fürchterliches Quietschen und ein Gerüttel, das auf seinen Magen durchschlug.
    Imbert kam zurück: Es war niemand zu Hause bei Julito Senior. Besser, sie fuhren direkt zu Juan Tomás. Sie starteten wieder, ganz langsam; das seitlich geneigte, quietschende Auto mied die befahrenen Alleen und Straßen.
    Salvador beugte sich zu ihm herunter: »Wie geht’s dir, Pedro Livio?«
    ›Gut, Türke, gut.‹ Und er drückte seinen Arm. »Es dauert nicht mehr lange. Bei Juan Tomás wird dich ein Arzt untersuchen.«
    Wie schade, daß er keine Kraft besaß, um seinen Freunden zu sagen, sie sollten sich keine Sorgen machen, er sei froh, jetzt, da der Ziegenbock tot war. Sie hatten die Mirabal-Schwestern und den armen Rufino de la Cruz gerächt, den Chauffeur, der sie zur Festung in Puerto Plata gefahren hatte, wo sie ihre in Haft sitzenden Ehemänner besuchten, und den Trujillo ebenfalls umbringen ließ, um die Farce des Unfalls glaubwürdiger zu machen. Dieser Mord hatte Pedro Livio bis ins Mark getroffen und ihn veranlaßt, sich an jenem 25. November 1960 der Verschwörung anzuschließen, die sein Freund Antonio de la Maza organisierte. Er kannte die Mirabal-Schwestern nur vom Hö rensagen. Aber wie viele Dominikaner hatte ihn die Tragödie dieser jungen Frauen aus Salcedo verstört. Jetzt ermordete man auch schutzlose Frauen, und niemand tat etwas dagegen! Hatte die Schande in der Dominikanischen Republik ein solches Ausmaß erreicht? Es gab keinen Schneid mehr in diesem Land, verfluchtnochmal! Als er Antonio Imbert so erschüttert über Minerva Mirabal reden hörte – er, der seine Gefühle kaum jemals nach außen dringen ließ –, war er vor seinen Freunden in Tränen ausgebrochen, das einzige Mal in seinem Erwachsenenleben. Doch, es gab noch Männer mit Schneid in der Dominikanischen Republik. Der Beweis war diese Leiche, die im Kofferraum hin und her rollte.
    »Ich sterbe!« rief er. »Laßt mich nicht sterben!« »Wir sind gleich da, Neger«, beruhigte ihn Antonio de la Maza. »Dann machen wir dich wieder gesund.« Er strengte sich an, um bei Bewußtsein zu bleiben. Kurz darauf erkannte er die Kreuzung Máximo Gómez und Avenida Bolívar.
    »Habt ihr eben den Dienstwagen gesehen?« sagte Imbert. »War das nicht General Roman?«
    »Pupo ist zu Hause und wartet«, erwiderte Antonio de la Maza. »Er hat Amiama und Juan Tomás gesagt, daß er heute abend nicht ausgehen würde.« Eine Ewigkeit später hielt das Auto an. Er schloß aus den Worten seiner Freunde, daß sie sich am Hintereingang des Hauses von General Díaz befanden. Jemand öffnete das Tor. Sie konnten in den Hof fahren, vor den Garagen parken. Im schwachen Schein der Straßenlampen und des aus den Fenstern

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