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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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verbracht, gegen seine Skrupel gekämpft. Am Nachmittag, als ich aus der Schule kam, hatte er den Schritt getan.«
    Tante Adelina protestiert nicht. Sie schaut sie nur an, aus dem Grund ihrer tiefen Augenhöhlen, halb vorwurfsvoll, halb entsetzt und mit einer Ungläubigkeit, die gegen ihren Willen mehr und mehr schwindet. Marianita rollt wieder und wieder eine Haarsträhne um den Finger. Lucinda und Manolita sind zu Statuen erstarrt.
    Er war geduscht und korrekt wie immer gekleidet; keine Spur von der schlechten Nacht war an ihm zu sehen. Aber er hatte nichts gegessen, und seine Zweifel, seine Bitterkeit spiegelten sich in seiner leichenhaften Blässe, in seinen Augenringen, im schreckhaften Glanz seines Blickes. »Fühlst du dich schlecht, Papi? Warum bist du so blaß?« »Wir müssen miteinander reden, Uranita. Komm, gehen wir in dein Zimmer hinauf. Ich will nicht, daß das Personal uns hört.«
    ›Sie werden ihn einsperren‹, dachte das Mädchen. ›Er wird mir sagen, daß ich zu Onkel Aníbal und Tante Adelina ziehen muß.‹
    Sie betraten das Zimmer. Urania warf die Bücher auf ihren Arbeitstisch und setzte sich auf die Kante des Bettes (»Mit blauer Bettdecke voller Disney-Figuren«); ihr Vater lehnte sich ans Fenster.
    »Du bist für mich das Liebste auf der Welt«, sagte er lächelnd
    zu ihr. »Das Beste, was ich habe. Seit deine Mama gestorben ist, das einzige, was mir in diesem Leben bleibt. Verstehst du, mein Kleines?«
    »Natürlich, Papi«, erwiderte sie. »Ist noch was Schlimmes passiert? Werden sie dich einsperren?« »Nein, nein.« Er schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, es gibt eine Möglichkeit, daß alles in Ordnung kommt.« Er machte eine Pause, außerstande, fortzufahren. Seine Lippen und Hände zitterten. Sie schaute ihn erstaunt an. Aber das war doch eine tolle Nachricht. Eine Möglichkeit, daß Rundfunk und Zeitungen aufhörten, ihn anzugreifen? Daß er wieder Senatspräsident wurde? Wenn es so war, warum dann dieses Gesicht, Papi, warum so niedergeschlagen, so traurig.
    »Weil sie ein Opfer von mir verlangen, mein Kleines«, murmelte er. »Ich will, daß du eines weißt. Ich würde nie etwas tun, nie, hör gut zu, krieg das in deinen Kopf, das nicht zu deinem Besten wäre. Schwör mir, daß du nie vergessen wirst, was ich dir gerade sage.«
    Uranita wird langsam unwillig. Wovon redet er? Warum sagt er es ihr nicht endlich?
    »Natürlich, Papi«, sagt sie schließlich mit einem Anrlug von Überdruß. »Aber was ist denn passiert, warum redest du so um den heißen Brei?«
    Ihr Vater ließ sich neben sie auf das Bett fallen, faßte sie an den Schultern, zog sie an sich, küßte sie aufs Haar. »Es gibt ein Fest, und der Generalissimus hat dich eingeladen.« Er hielt die Lippen gegen die Stirn des Mädchens gedrückt. »In dem Haus, das er in San Cristóbal hat, in der
    Hacienda Fundación.« Urania löste sich aus seinen Armen.
    »Ein Fest? Und Trujillo lädt uns ein? Aber Papi, das heißt doch, daß alles in Ordnung ist. Nicht wahr?« Der Senator Cabral zuckte die Schultern. »Ich weiß nicht, Uranita. Der Chef ist unberechenbar. Seine Absichten sind nicht immer leicht zu erraten. Er hat nicht uns beide eingeladen. Nur dich.« »Mich?«
    »Manuel Alfonso wird dich hinfahren. Er wird dich auch zurückbringen. Ich weiß nicht, warum er dich einlädt und mich nicht. Es ist sicher eine erste Geste, eine Form, mir zu verstehen zu geben, daß nicht alles verloren ist. Das ist zumindest der Schluß, den Manuel zieht.« »Wie schlecht er sich fühlte«, sagt Urania, während sie bemerkt, daß Tante Adelina, niedergedrückt, sie nicht mehr mit diesem Tadel im Blick anschaut, aus dem die Sicherheit gewi chen ist. »Er verhaspelte sich, widersprach sich. Er zitterte bei dem Gedanken, ich könnte ihm seine Lügen nicht glauben.«
    »Manuel Alfonso konnte ihn doch auch getäuscht haben…«, setzt Tante Adelina an, aber der Satz bleibt ihr im Hals stecken. Sie macht ein zerknirschtes Gesicht und bewegt entschuldigend Kopf und Hände. »Wenn du nicht gehen willst, gehst du nicht, Uranita.« Agustín Cabral reibt sich die Hände, als wäre ihm kalt in dieser heißen Abenddämmerung, die dabei ist, in Dunkelheit überzugehen. »Ich rufe sofort Manuel Alfonso an und sage ihm, daß du dich unwohl fühlst, daß er dich beim Chef entschuldigen soll. Du bist in keiner Weise verpflichtet, mein Kleines.«
    Sie weiß nicht, was sie antworten soll. Warum muß sie eine solche Entscheidung treffen?
    »Ich weiß nicht,

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