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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Alfonso.«
    Sie hat das alles rasch gesagt, mit dumpfer Wut, und keine ihrer Verwandten fragt sie etwas. Die Stille in dem kleinen Eßzimmer wirkt wie die Stille vor dem Donner bei den lauten Sommergewittern. In der Ferne zerreißt eine Sirene die Nacht. Samson bewegt sich nervös auf seiner Holzstange hin und her, mit gesträubten Federn. »Mir kam er wie ein alter Mann vor, seine zerhackte Art zu sprechen reizte mich zum Lachen, seine Narbe am Hals machte mir angst.« Urania reibt krampfhaft die Hände aneinander. »Was sollte mir in diesem Moment ein Kompliment ausmachen. Aber später habe ich mich oft an diese Schmeicheleien erinnert.«
    Sie verstummt wieder, erschöpft. Lucinda sagt etwas – »Du warst damals vierzehn Jahre alt, nicht?« – , das Urania dumm vorkommt. Lucinda weiß ganz genau, daß sie beide im gleichen Jahr geboren sind. Vierzehn, was für ein trügerisches Alter. Sie waren keine kleinen Mädchen mehr, aber sie waren noch keine jungen Frauen. »Drei oder vier Monate zuvor hatte ich meine erste Regel«, sagt sie leise. »Sie kam früh bei mir, wie es scheint.« »Der Gedanke ist mir gerade gekommen, der Gedanke kam mir beim Eintreten«, sagt der Botschafter, während er die Hand ausstreckt und sich einen weiteren Whisky einschenkt; er bedient auch den Hausherrn. »Ich bin immer so gewesen: zuerst der Chef, dann ich. Du bist blaß geworden, Agustín. Täusche ich mich? Ich habe nichts gesagt, vergiß es. Schon vergessen. Prost, Cerebrito!« Der Senator Cabral nimmt einen langen Schluck. Der Whisky kratzt ihn im Hals und rötet seine Augen. Krähte da ein Hahn um diese Zeit?
    »Es ist nur…. es ist nur…«, sagt er, ohne zu wissen, was er hinzufügen soll.
    »Vergessen wir es. Ich hoffe, du hast es nicht übelgenommen, Cerebrito. Vergiß es! Vergessen wir es!« Manuel Alfonso ist aufgestanden. Er geht zwischen den schlichten Möbeln des Wohnzimmers umher, das sauber und aufgeräumt ist, aber ohne die weibliche Note, die eine tüchtige Hausfrau verleiht. Der Senator Cabral denkt – wie oft hat er es in diesen Jahren gedacht? –, daß er schlecht daran getan hat, nach dem Tod seiner Frau allein zu bleiben. Er hätte heiraten, weitere Kinder haben sollen, womöglich wäre ihm dieses Unheil erspart geblieben. Warum hatte er es nicht getan? Wegen Uranita, wie er allen gegenüber behauptete? Nein. Um dem Chef mehr Zeit zu widmen, ihm Tage und Nächte zu weihen, ihm zu beweisen, daß niemand wichtiger war im Leben von Agustín Cabral.
    »Ich hab es nicht übelgenommen.« Er vollbringt eine gewaltige Anstrengung, um gelassen zu wirken. »Es ist nur…. ich bin verwirrt. Das habe ich nicht erwartet, Manuel.«
    »Du hältst sie für ein kleines Mädchen, du hast nicht gemerkt, daß sie eine kleine Frau geworden ist.« Manuel Alfonso läßt die Eiswürfel in seinem Glas klirren. »Ein hübsches junges Mädchen. Du bist bestimmt stolz, so eine Tochter zu haben.«
    »Natürlich.« Und er fügt unbeholfen hinzu: »Sie war immer die Klassenbeste.«
    »Weißt du was, Cerebrito? Ich hätte nicht eine Sekunde gezögert. Nicht, um sein Vertrauen zurückzugewinnen, nicht, um ihm zu beweisen, daß ich zu jedem Opfer für ihn bereit bin. Einfach deshalb, weil mir nichts größere Freude, größeres Glück bereiten würde als die Vorstellung, daß der Chef meiner Tochter Genuß schenkt und von ihr Genuß empfängt. Ich übertreibe nicht, Agustín. Trujillo ist eine dieser Ausnahmegestalten in der Geschichte. Karl der Große, Napoleon, Bolívar: aus diesem Geschlecht. Naturgewalten, Werkzeuge Gottes, Schöpfer von Völkern. Er ist einer von ihnen, Cerebrito. Wir haben das Privileg gehabt, an seiner Seite zu sein, ihn handeln zu sehen, mit ihm zusammenzuarbeiten. Das ist unbezahlbar.« Er leerte sein Glas, und Agustín Cabral hob das seine an den Mund, aber er netzte sich kaum die Lippen. Der Schwindel war vorüber, aber jetzt rumorte sein Magen. Jeden Augenblick würde er sich übergeben müssen. »Sie ist noch ein Kind«, stammelte er. »Um so besser!« rief der Botschafter aus. »Der Chef wird die Geste noch mehr zu schätzen wissen. Er wird begreifen, daß er sich geirrt hat, daß er dich voreilig verurteilt hat, weil er sich von Empfindlichkeiten leiten ließ oder deinen Feinden Gehör schenkte. Denk nicht nur an dich, Agustín. Sei nicht egoistisch. Denk an dein kleines Mädchen. Was wird aus ihr werden, wenn du alles verlierst und wegen übler Machenschaften und Unterschlagung im Gefängnis landest?«

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