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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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womit der Apparat des SIM außer Gefecht gesetzt wäre. Aber obwohl er mit Sicherheit wußte, was er in diesem Augenblick tun und sagen mußte, tat er es auch dieses Mal nicht. Nach ein paar Sekunden zögernden Schweigens beschränkte er sich darauf, die Offiziere in einer vagen, abgehackten, stammelnden Sprache zu informieren, daß die Streitkräfte angesichts des auf die Person des Generalissimus verübten Attentats Geschlossenheit und Gefechtsbereitschaft zeigen mußten. Statt seinen Untergebenen Vertrauen einzuflößen, steckte er sie mit seiner Unsicherheit an; er konnte ihre Enttäuschung spüren, mit den Händen greifen. Das war es nicht, was sie erwarteten. Um seine Verwirrung zu verbergen, setzte er sich mit den Garnisonen des Landesinnern in Verbindung. Gegenüber General César A. Oliva, in Santiago, General García Urbáez, in Dajabón, und General Guarionex Estrella, in La Vega, wiederholte er in der gleichen unsicheren Weise – die Stimme gehorchte ihm kaum, so als wäre er betrunken – , daß sie wegen des vermutlichen Mordes an Trujillo die Truppen in den Kasernen zurückhalten und keine Truppenbewegungen ohne seine Genehmigung veranlassen sollten.
    Als er mit den Anrufen fertig war, zerriß er die unsichtbare Zwangsjacke, die ihn einengte, und ergriff eine Initiative in der richtigen Richtung:
    »Treten Sie nicht ab«, verkündete er, während er sich erhob. »Ich werde sofort eine Versammlung auf höchster Ebene einberufen.«
    Er befahl, den Präsidenten der Republik, den Chef des Militärischen Geheimdienstes und den ehemaligen Präsidenten, General Héctor Bienvenido Trujillo, anzurufen. Er würde sie kommen lassen und alle drei, hier, festnehmen. Wenn Balaguer an der Verschwörung beteiligt war, konnte er ihm bei den folgenden Schritten helfen. Er gewahrte Verwirrung bei den Offizieren, Blickwechsel, Getuschel. Sie reichten ihm das Telefon. Dr. Joaquín Balaguer hatte man soeben aus dem Bett geholt: »Es tut mir leid, daß ich Sie wecke, Herr Präsident. Es wurde ein Attentat auf Seine Exzellenz verübt, als er auf dem Weg nach San Cristóbal war. Als Minister der Streitkräfte berufe ich eine dringende Zusammenkunft in der Festung 18 de Diciembre ein. Ich bitte Sie, unverzüglich zu kommen.«
    Präsident Balaguer antwortete lange nichts, so lange, daß Roman glaubte, die Verbindung sei unterbrochen worden. War es Verblüffung, die ihm die Sprache raubte? Zufriedenheit darüber, daß der Plan anzulaufen begann? Oder Mißtrauen wegen dieses Anrufs zur Unzeit? Schließlich hörte er die völlig emotionslose Antwort: »Wenn etwas derart Gravierendes geschehen ist, dann ist mein Platz als Präsident der Republik nicht in einer Kaserne, sondern im Regierungspalast. Ich begebe mich dorthin. Ich schlage Ihnen vor, daß die Zusammenkunft in meinem Amtszimmer stattfindet. Guten Abend.« Ohne ihm Zeit für eine Antwort zu lassen, legte er auf. Johnny Abbes García hörte ihm aufmerksam zu. Gut, er werde zu der Zuammenkunft kommen, aber erst nachdem er die Zeugenaussage von Hauptmann Zacarías de la Cruz gehört hätte, der gerade verletzt ins Marion-Krankenhaus eingeliefert worden sei. Nur Negro Trujillo schien die Aufforderung zu akzeptieren. »Ich komme sofort.« Er spürte, daß Negro von den Ereignissen überfordert war. Aber als er nach einer halben Stunde Wartens nicht erschienen war, wußte General JoséRene Roman, daß sein in letzter Minute geschmiedeter Plan keine Aussicht auf Erfolg hatte. Keiner der drei würde in den Hinterhalt gehen. Und er versank mit jedem Schritt, den er tat, allmählich in einer Art Treibsand, aus dem er sich bald nicht mehr würde befreien können. Es sei denn, er brächte ein Militärflugzeug in seine Gewalt und ließe sich nach Haiti, Trinidad, Puerto Rico, auf die französischen Antillen oder nach Venezuela ausfliegen, wo man ihn mit offenen Armen empfangen würde.
    Von diesem Augenblick an agierte er wie ein Schlafwandler. Die Zeit verflüchtigte sich; statt zu vergehen, drehte sie sich im Kreis, eine monotone Wiederholung, die ihn deprimierte und irritierte. Aus diesem Zustand sollte er nicht mehr herausfinden in den viereinhalb Monaten Leben, die ihm noch blieben, wenn man dies Leben nennen konnte und nicht Hölle, Alptraum. Bis zum 12. Oktober 1961 hatte er keine klare Vorstellung mehr von der zeitlichen Abfolge; wohl aber von der geheimnisvollen Ewigkeit, die ihn nie interessiert hatte. In den Momenten, in denen die Klarheit ihn wie ein Schrecken anfiel, um ihn

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