Das Fest des Ziegenbocks
daran zu erinnern, daß er noch lebte, daß es nicht zu Ende war, quälte er sich mit der immergleichen Frage: Warum, wo du doch wußtest, daß es das war, was dich erwartete, hast du nicht gehandelt, wie du hättest handeln sollen? Diese Frage setzte ihm mehr zu als die Folterungen, denen er sich mit großem Mut stellte, vielleicht um sich zu beweisen, daß er in jener endlosen Nacht des 31. Mai 1961 nicht aus Feigheit so unentschlossen gewesen war.
Unfähig, eine Übereinstimmung zwischen sich und seinen Handlungen herzustellen, verhielt er sich widersprüchlich und traf kopflose Entscheidungen. Er befahl seinem Schwager, General Virgilio García Trujillo, aus San Isidro, wo die Panzerdivisionen stationiert waren, vier Panzer und drei Infanteriekompanien zur Verstärkung der Festung 18 de Diciembre zu schicken. Aber gleich darauf beschloß er, den Ort zu verlassen und sich zum Regierungspalast zu begeben. Er wies den Chef des Generalstabs des Heeres, den jungen General Tuntin Sán-chez, an, ihn über die Suche auf dem laufenden zu halten. Bevor er losfuhr, rief er Américo Dante Minervino in La Victoria an. Er befahl ihm ausdrücklich, sofort und mit der größtmöglichen Diskretion die Häftlinge Major Segundo Im-bert Barreras und Rafael Augusto Sánchez Saulley zu liquidieren und ihre Leichname verschwinden zu lassen, denn er fürchtete, Antonio Imbert von der Aktionsgruppe könnte seinen Bruder über seine Verwicklung in die Verschwörung infor miert haben. Américo Dante Minervino, an dergleichen Missionen gewöhnt, stellte keine Fragen: »Befehl verstanden, Herr General.« Er verwirrte General Tuntin Sánchez, als er ihm sagte, er solle den an der Suche beteiligten Patrouillen des SIM, des Heeres und der Luftwaffe einschärfen, daß die Personen auf den Listen der »Feinde« und »Abtrünnigen«, die man ihnen ausgehändigt hatte, beim geringsten Versuch, sich der Festnahme zu widersetzen, zu töten seien. (»Wir wollen keine Gefangenen, die als Vorwand für internationale Kampagnen gegen unser Land dienen.«) Sein Untergebener gab keinen Kommentar dazu. Er werde seine Instruktionen wortwörtlich weiterleiten, Herr General.
Als er die Festung in Richtung Regierungspalast verließ, informierte ihn der wachhabende Leutnant, daß ein Auto mit zwei Zivilpersonen, von denen eine behauptete, sein Bruder Ramón, Bibín, zu sein, am Eingang zum Gelände vorgefahren sei und daß sie verlangt hätten, ihn zu sehen. Seinen Befehlen folgend, habe er sie gezwungen, sich zu entfernen. Er nickte, ohne etwas zu sagen. Sein Bruder Bibín war also in die Verschwörung verwickelt, und deshalb würde auch er für seine Zweifel und Ausflüchte bezahlen. Versunken in seinen hypnoseartigen Zustand, dachte er, daß seine Trägheit vielleicht daher rührte, daß der Körper des Chefs zwar tot war, aber seine Seele, sein Geist oder wie immer man das nennen mochte, ihn weiterhin versklavte.
Im Regierungspalast fand er Wirrwarr und Untröstlichkeit vor. Fast die ganze Familie Trujillo war versammelt. Petán, in Reitstiefeln und mit umgehängter Maschinenpistole, war gerade von seinem Gut in Bonao eingetroffen und lief auf und ab wie die Karikatur eines mexikanischen Reiters. Héctor, Negro, saß zusammengesunken in seinem Sessel und rieb sich die Arme, als sei ihm kalt. Mireya und seine Schwiegermutter Marina trösteten Doña Maria, die Frau des Chefs, die leichenblaß war und in deren Augen Feuer brannte. Die schöne Angelita dagegen weinte und rang die Hände, während ihr Ehemann, Oberst José Leon Estévez, Pechito, in Uniform und mit betrübter Miene, erfolglos versuchte, sie zu trösten. Er spürte, daß sich alle Blicke auf ihn richteten: irgendeine Neuigkeit? Er umarmte sie, einen nach dem anderen: Man sei dabei, die Stadt zu durchkämmen, Haus für Haus, Straße für Straße, und bald… Dann begriff er, daß sie mehr wußten als der Kommandeur der Streitkräfte. Einer der Verschwörer war ihnen ins Netz gegangen, der ehemalige Militär Pedro Livio Cedeno, den Abbes García in der Internationalen Klinik verhörte. Und Oberst José Leon Estévez hatte bereits Ramfis und Radhamés verständigt, die versuchten, ein Flugzeug der Air France zu chartern, das sie aus Paris herbringen würde. In diesem Au genblick wurde ihm auch klar, daß er die Macht, die mit seinem Amt verbunden war und die er in den letzten Stunden vergeudet hatte, zu verlieren begann; die Entscheidungen kamen nicht mehr aus seinem Büro, sondern aus dem der
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