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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gelangte, war es halb zehn Uhr abends. Er schickte den Jeep nach San Isidro zurück. Mireya und sein Sohn Álvaro, ein junger Leutnant des Heeres, der seinen freienTag hatte und sie besuchen gekommen war, hoben die Hände an den Kopf, als sie ihn in diesem Zustand sahen. Während er sich die schmutzige Kleidung auszog, gab er ihnen Erklärungen. Er bat Mireya, ihren Bruder anzurufen, und informierte General Virgilio García Trujillo über den Wutanfall des Chefs: »Tut mir leid, lieber Schwager, aber ich bin gezwungen, dich zu ermahnen. Komm morgen in mein Büro, vor zehn.« »Wegen eines kaputten Rohrs, ach du Scheiße!« rief Virgilio amüsiert. »Der Mann kann sich nicht beherrschen!« Er nahm eine Dusche und seifte sich von oben bis unten ein. Als er die Badewanne verließ, reichte Mireya ihm einen sauberen Pyjama und einen seidenen Morgenmantel. Sie blieb bei ihm, während er sich abtrocknete, mit Kölnischwasser einrieb und anzog. Anders als viele glaubten, angefangen beim Chef, hatte er Mireya nicht aus Eigennutz geheiratet. Er hatte sich in dieses dunkelhäutige, schüchterne Mädchen verliebt und sein Leben riskiert, als er ihr gegen den Widerstand Trujillos den Hof machte. Sie waren ein glückliches Paar, das in seinem mehr als zwanzigjährigen Zusammenleben weder Streit noch Brüche gekannt hatte. Während er mit Mireya und Älvaro am Tisch plauderte – er hatte keinen Hunger und beschränkte sich darauf, ein Glas Rum mit Eis zu trinken –, fragte er sich, wie seine Frau reagieren würde. Würde sie Partei für ihren Mann ergreifen oder für den Clan? Der Zweifel quälte ihn. Oft hatte er erlebt, daß Mireya sich über das verächtliche Verhalten des Chefs empörte; vielleicht würde das den Ausschlag zu seinen Gunsten geben. Außerdem, welche Dominikanerin würde nicht gerne die erste Dame der Nation werden?
    Nach dem Abendessen ging Älvaro aus, um mit ein paar Freunden ein Bier zu trinken. Mireya und er stiegen ins Schlafzimmer in den ersten Stock hinauf und schalteten Die dominikanische Stimme ein. Sie brachten eine Sendung mit Tanzmusik, in der Sänger und Orchester auftraten, die gerade Mode waren. Vor den Sanktionen hatte der Sender die besten Künstler Lateinamerikas engagiert, aber seit einem Jahr wurde infolge der Krise fast die gesamte Produktion der Fernsehanstalt Petán Trujillos mit einheimischen Künstlern bestritten. Während sie die Merengues und Danzones des Orchesters Generalissimus unter der Leitung von Maestro Luis Aberti hörten, sagte Mireya bekümmert, sie hoffe, daß diese Scherereien mit der Kirche bald ein Ende fänden. Es herrsche eine ungute Atmosphäre, ihre Freundinnen redeten beim Canastaspiel über Revolutionsgerüchte und darüber, daß Kennedy die marines schicken würde. Pupo beruhigte sie: Der Chef würde sich auch dieses Mal durchsetzen, das Land zu Ruhe und Wohlstand zurückfinden. Seine Stimme kam ihm so falsch vor, daß er tat, als müßte er husten, um nicht weitersprechen zu müssen.
    Kurz darauf kreischten die Bremsen eines Autos, und frenetisches Hupen brach los. Der General sprang aus dem Bett und trat ans Fenster. Er erkannte die scharf umrissene Gestalt von General Arturo Espaillat, Navajita, der aus dem eben eingetroffenen Auto stieg. Kaum hatte er sein im Schein der Straßenlampe gelblich verfärbtes Gesicht gesehen, machte sein Herz einen Sprung: es war geschehen.
    »Was ist passiert, Arturo?« fragte er, den Kopf zum Fenster hinausgestreckt.
    »Etwas sehr Ernstes«, sagte General Espaillat, während er näher trat. »Ich war mit meiner Frau im Pony, und der Chevrolet des Chefs fuhr vorbei. Kurz darauf hörte ich Schüsse. Ich bin
    hingefahren und sah mich mitten auf der Fahrbahn einer Schießerei gegenüber.«
    »Ich komm runter, ich komm runter«, rief Pupo Roman. Mireya zog sich einen Morgenmantel an und bekreuzigte sich. »O Gott, mein Onkel«, »Gott darf es nicht geschehen lassen, Jesus Christus.«
    Von diesem Augenblick an und in jeder folgenden Minute und Stunde, eine Zeit, in der sich sein Schicksal, das seiner Familie, das der Verschwörer und letztlich das der Dominikanischen Republik entschied, wußte General JoséRene Roman Fernández immer mit absoluter Klarheit, was er tun mußte. Warum tat er genau das Gegenteil? Er sollte sich diese Frage in den nächsten Monaten oft stellen, ohne eine Antwort zu finden. Während er die Treppe hinunterging, wußte er, daß in dieser Situation das einzig Vernünftige war – wenn er am Leben hing und

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