Das Fest des Ziegenbocks
keinem Grund, die Ruhe verlieren.
Er sah sich in seinem Entschluß bestärkt, kaum daß er den Regierungspalast betreten hatte und die dort herrschende Verwirrung bemerkte. Man hatte die Bewachung verdoppelt, und durch Gänge und über Treppen zirkulierten bewaffnete Soldaten auf der Suche nach jemandem, auf den sie schießen konnten. Einige Offiziere, die ihn ohne Hast seinen Amtsräumen zustreben sahen, wirkten erleichtert; vielleicht würde er ja wissen, was zu tun war. Er erreichte sein Büro jedoch nicht. Im Besucherzimmer neben dem Amtsraum des Generalissimus sah er die Familie Trujillo: die Ehefrau, die Tochter, die Brüder, Neffen und Nichten. Er wandte sich mit ernster Miene an sie, wie der Anlaß sie forderte. Angelita hatte Tränen in den Augen und war blaß; aber im breiten, hochmütigen Gesicht von Doña Maria lag Wut, unermeßliche Wut. »Was wird mit uns passieren, Dr. Balaguer?« stammelte Angelita, während sie ihn am Arm faßte. »Nichts, nichts wird Ihnen geschehen«, beschwichtigte er sie. Er umarmte auch die Vortreffliche Dame. »Worauf es ankommt, ist, Gelassenheit zu bewahren. Stark zu sein. Gott wird nicht zulassen, daß Seine Exzellenz tot ist.« Ein einziger Blick genügte ihm, um zu erkennen, daß diese Sippe armer Teufel die Orientierung verloren hatte. Petán fuchtelte mit einer Maschinenpistole herum, drehte sich schwitzend um sich selbst wie ein Hund, der sich in den Schwanz beißen will, und brüllte dummes Zeug über die cucuyos der Kordillere, seine Privatarmee, während Héctor Bienvenido, Negro, der
Ex-Präsident, von katatonischem Stumpfsinn befallen zu sein schien: er schaute ins Leere, den Mund voll Speichel, als versuchte er, sich daran zu erinnern, wer er war und wo er sich befand. Und selbst der unglücklichste der Brüder des Chefs war da, Amable Romeo, genannt Pipí; gekleidet wie ein Bettler, kauerte er auf einem Stuhl, mit offenstehendem Mund. In den Sesseln trockneten sich die Schwestern Trujillos, Nieves Luisa, Marina, Julieta, Ofelia Japonesa, die Augen oder schauten hilfesuchend in die Runde. Allen murmelte er aufmunternde Worte zu. Es gab eine Leere, und es war nötig, sie so bald wie möglich zu füllen.
Er ging in sein Amtszimmer und rief General Santos Mélido Märte an, den Generalinspekteur der Streitkräfte, mit dem ihn von allen hochrangigen Offizieren die langjährigste Beziehung verband. Dieser wußte von nichts und reagierte so perplex auf die Nachricht, daß er eine halbe Minute lang nur stammeln konnte: »Mein Gott, mein Gott.« Er bat ihn, die Generalkommandeure und Befehlshaber der Garnisonen in der gesamten Republik anzurufen, ihnen zu versichern, daß der wahrscheinliche Mord die verfassungsmäßige Ordnung nicht außer Kraft gesetzt habe und daß sie das Vertrauen des Staatschefs genossen, der sie in ihren Ämtern bestätigte. »Ich mache mich ans Werk, Herr Präsident«, verabschiedete sich der General.
Man teilte ihm mit, daß der apostolische Nuntius, der nordamerikanische Konsul und der britische Geschäftsträger sich am Eingang des Regierungspalastes befänden, wo sie von der Wache zurückgehalten wurden. Er ließ sie passieren. Was sie herführte, war nicht das Attentat, sondern die gewaltsame Festnahme von Monsignore Reilly durch bewaffnete Männer, die in die Santo-DomingoSchule eingedrungen waren, nachdem sie die Türen eingetreten hatten. Sie hatten in die Luft geschossen, die Nonnen und die Redemptoristen-Priester aus San Juan de la Maguana geschlagen, die beim Bischof waren, und einen Wachhund getötet. Sie hatten den Prälat mit Gewalt mitgenommen.
»Herr Präsident, ich mache Sie für das Leben von Monsignore Reilly verantwortlich«, sagte der Nuntius drohend. »Meine Regierung wird nicht dulden, daß sein Leben gefährdet wird«, erklärte der nordamerikanische Diplomat. »Ich brauche Sie wohl nicht auf das Interesse Washingtons an Reilly hinzuweisen, der amerikanischer Staatsbürger ist.«
»Setzen Sie sich bitte«, sagte er, während er auf die Stühle wies, die um seinen Schreibtisch standen. Er hob den Telefonhörer und bat um eine Verbindung mit General Virgilio García Trujillo, dem Befehlshaber des Luftwaffenstützpunktes San Isidro. Er wandte sich den Diplomaten zu: »Ich bedaure es mehr als Sie, glauben Sie mir. Ich werde keine Mühe scheuen, um dieser Ungeheuerlichkeit ein Ende zu setzen.« Kurz darauf vernahm er die Stimme des leiblichen Neffen des Generalissimus. Ohne den Blick vom Trio der Besucher zu wenden, sagte
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