Das Fest des Ziegenbocks
und ungeheure Zärtlichkeit beim Gedanken an seine Frau und an seine Kinder. Als der Wagen bremste und die Tür geöffnet wurde, sah er das Meer, die Dämmerung, die Sonne, die an einem tintenblauen Himmel unterging. Sie zerrten sie heraus. Sie befanden sich im gartenähnlichen Hof eines sehr großen Hauses, neben einem Swimmingpool. Es gab ein paar Palmen mit steil aufragenden Wipfeln und, etwa zwanzig Meter entfernt, eine Terrasse mit männlichen Gestalten, die Gläser in der Hand hielten. Er erkannte Ramfis, Pechito Leon Estévez, dessen Bruder Alfonso, Pirulo Sánchez Rubirosa und sah zwei oder drei Unbekannte. Alfonso Leon Estévez eilte ihnen entgegen, sein Glas mit Whisky in der Hand. Er half Américo Dante Minervino und dem Neger mit dem Boxergesicht, sie zu den Kokospalmen zu treiben. »Einer nach dem anderen, Pechito!« befahl Ramfis. ›Er ist betrunken‹, dachte Salvador. Er mußte sich betrinken, um sein letztes Fest zu feiern, der Sohn des Ziegenbocks. Sie durchsiebten zuerst Pedro Livio, der sofort im dichten Kugelhagel der Revolver und unter den Salven der Maschinenpistolen zusammenbrach. Danach schleppten sieTunti Cáceres zu den Kokospalmen, der, bevor er zu Boden fiel, Ramfis beschimpfte: »Du degenerierter Feigling, du dreckiges Schwein!« Und dann Modesto Díaz, der rief: »Es lebe die Republik!«, und sich einen Augenblick am Boden wand, bevor er starb.
Dann war er an der Reihe. Sie mußten ihn weder vorwärtsstoßen noch hinschleppen. Mit den kleinen Schritten, die ihm die Fußfesseln erlaubten, bewegte er sich ganz allein auf die Kokospalmen zu, unter denen seine Freunde lagen, während er Gott dafür dankte, daß er ihm erlaubt hatte, in den letzten Augenblicken bei ihm zu sein, und mit einer gewissen Melancholie dachte, daß er nie Basquinta sehen würde, das kleine libanesische Dorf, das die Familie Sadhalá verlassen hatte, um ihren Glauben zu bewahren und ihr Glück in diesen Gefilden des Herrn zu suchen.
XXII
Als Präsident Balaguer, noch im Halbschlaf, das Telefon läuten hörte, ahnte er das Schlimmste. Er nahm den Hörer ab, während er sich zugleich mit der freien Hand die Augen rieb. Er hörte General José Rene Roman, der ihn zu einer Zusammenkunft auf höchstem Niveau im Generalstab der Armee einberief. ›Sie haben ihn umgebracht‹, dachte er. Die Verschwörung hatte Erfolg gehabt. Er wurde mit einem Schlag wach. Er konnte keine Zeit mit Mitleid oder Wut verlieren; im Augenblick war das Problem der Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Er räusperte sich und sagte langsam: »Wenn etwas derart Gravierendes geschehen ist, dann ist mein Platz als Präsident der Republik nicht in einer Kaserne, sondern im Regierungspalast. Ich begebe mich dorthin. Ich schlage Ihnen vor, daß die Zusammenkunft in meinem Büro stattfindet. Guten Abend.« Er legte auf, bevor der Minister der Streitkräfte Zeit hatte, ihm zu antworten. Er stand auf und kleidete sich an, ohne Lärm zu machen, um seine Schwestern nicht zu wecken. Sie hatten Trujillo umgebracht, das war sicher. Es war schon ein Staatsstreich im Gang, angeführt von Roman. Warum mochte er ihn in die Festung 18 de Diciembre bestellen? Um ihn zum Rücktritt zu zwingen, ihn festzunehmen oder ihn zur Unterstützung der Erhebung aufzufordern. Das wirkte ungeschickt, schlecht geplant. Statt zu telefonieren, hätte er ihm eine Patrouille schicken müssen. Roman mochte zwar den Oberbefehl der Streitkräfte innehaben, aber es fehlte ihm an Ansehen, um sich bei den Garnisonen durchzusetzen. Die Sache würde scheitern. Er trat aus dem Haus und bat den Wachhabenden, er möge seinen Fahrer wecken. Während dieser ihn auf der leeren, dunkel daliegenden Avenida Máximo Gómez zum Regierungspalast fuhr, malte er sich die folgenden Stunden aus: Zusammenstöße zwischen aufständischen und loyalen Garnisonen und mögliche Militärintervention der Nordamerikaner. Washington würde für diese Aktion irgendeine verfassungsrechtliche Verbrämung benötigen, und in diesem Augenblick repräsentierte der Präsident der Republik die Legalität. Sein Amt war dekorativ, gewiß. Aber nach demTod Trujillos wurde es real. Es hing von seinem Verhalten ab, ob er aufhören würde, eine bloße Randfigur zu sein, und zum wirklichen Staatschef der Dominikanischen Republik aufstiege. Vielleicht hatte er, ohne es zu wissen, seit seiner Geburt im Jahre 1906 auf diesen Moment gewartet. Einmal mehr wiederholte er im stillen die Devise seines Lebens: Nicht einen Augenblick, aus
Weitere Kostenlose Bücher