Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
Vom Netzwerk:
Tante Adelina.« Ihre Stimme ist sanft. »Ich tue das sonst nie, ich schwör es dir. Wolltest du nicht wissen, warum ich diese Dinge über Papa gesagt habe? Warum ich nichts mehr von der Familie wissen wollte, als ich nach Adrian ging? Jetzt weißt du es.«
    Ab und zu schluchzt er, und seine Seufzer heben seine Brust. Zwischen seinen Brustwarzen und um seinen dunklen Bauchnabel herum wächst spärliches weißes Haar. Noch immer verdeckt er die Augen mit seinem Arm. Hat er sie vergessen? Haben seine Bitterkeit, sein Schmerz sie ausgelöscht? Sie ist verschreckter als in den Augenblicken, da er sie gestreichelt, vergewaltigt hat. Sie vergißt den brennenden Schmerz, die Wunde zwischen den Beinen, die Angst, die ihr die Flecken an ihren Oberschenkeln und auf der Bettdecke machen. Sie rührt sich nicht. Unsichtbar, inexistent werden. Wenn dieser weinende Mann mit den haarlosen Beinen sie sieht, wird er ihr nicht verzeihen, er wird den Zorn seiner Impotenz, die Scham dieser Tränen auf sie entladen und sie vernichten. »Er sagte, es gebe keine Gerechtigkeit in dieser Welt. Warum
    passierte ihm das, nachdem er so sehr für dieses undankbare Land, für diese ehrlosen Leute gekämpft hatte. Er redete zu Gott. Zu den Heiligen. Zur Gottesmutter. Oder zum Teufel, wer weiß. Er fluchte und flehte. Warum unterwarf man ihn so vielen Prüfungen. Das Kreuz seiner Söhne, die Verschwörungen, um ihn umzubringen, um das Werk eines ganzen Lebens zu zerstören. Aber darüber beklage er sich nicht. Er wisse sich gegen Feinde aus Fleisch und Blut zu wehren. Das habe er von Jugend an getan. Was er nicht ertragen könne, sei der Schlag unter die Gürtellinie, daß man ihm nicht erlaubte, sich zu verteidigen. Er wirkte halb wahnsinnig vor Verzweiflung. Jetzt weiß ich, warum. Weil dieser Schwanz, der so viele Möschen zerrissen hatte, nicht mehr steif wurde. Das brachte den Titanen zum Weinen. Es ist zum Lachen, nicht wahr?«
    Aber Urania war ganz und gar nicht zum Lachen zumute. Sie hörte ihm reglos zu und wagte kaum zu atmen, damit er sich nicht erinnerte, daß sie da war. Der Monolog war nicht aus einem Stück, sondern zersplittert, zusammenhanglos, unterbrochen von langen Schweigepausen; er hob die Stimme und schrie, oder er senkte sie, bis sie nicht mehr hörbar war. Ein klagendes Wimmern. Urania war wie gebannt von dieser Brust, die sich hob und senkte. Sie versuchte, seinen Körper nicht anzusehen, aber zuweilen glitten ihre Augen über den leicht schwabbeligen Bauch, das ergraute Schamhaar, das kleine tote Geschlecht und die haarlosen Beine. Das war der Generalissimus, der Wohltäter des Vaterlandes, der Vater des Neuen Vaterlandes, der Wiederhersteller der Finanziellen Unabhängigkeit. Er war es, der Chef, dem Papa dreißig Jahre lang mit Hingabe und Treue gedient und dem er das kostbarste Geschenk gemacht hatte: seine vierzehnjährige Tochter. Aber die Dinge waren nicht gelaufen, wie der Senator gehofft hatte. Das hieß – Uranias Herz tat einen freudigen Sprung – , daß er Papa nicht rehabilitieren würde; vielleicht steckte er ihn ins Gefängnis, vielleicht ließe er ihn umbringen.
    »Plötzlich hob er den Arm und schaute mich mit seinen roten, geschwollenen Augen an. Ich bin neunundvierzig Jahre
    alt, und ich zittere noch immer. Seit jenem Augenblick habe
ich fünfunddreißig Jahre lang gezittert.«
Sie streckt ihre Hände aus, und ihre Tante, ihre Cousinen
und ihre Nichte sehen es: Sie zittern.
    Er schaute sie überrascht und haßerfüllt an, wie eine böse Erscheinung. Seine Augen, rot, brennend, starr, ließen ihr das Blut in den Adern gefrieren. Sie konnte sich nicht bewegen. Der Blick Trujillos musterte ihren Körper, wanderte hinab zu den Oberschenkeln, glitt zur Bettdecke mit den Blutflecken und richtete sich wieder drohend auf ihr Gesicht. Halb erstickt vor Ekel, befahl er ihr: »Los, wasch dich, siehst du nicht, wie du das Bett versaut hast? Geh mir aus den Augen!«
    »Ein Wunder, daß er mich gehen ließ«, sinniert Urania. »Nachdem ich gesehen hatte, wie er verzweifelte, weinte, klagte, in Selbstmitleid versank. Ein Wunder der
    Schutzpatronin, Tante.«
    Sie richtete sich auf, sprang aus dem Bett, sammelte die auf dem Boden verstreuten Kleidungsstücke auf und flüchtete sich, nachdem sie gegen eine Kommode gestoßen war, ins Bad. Dort erwartete sie eine weiße Badewanne voller Schwämme und Seifen und ein aufdringliches Parfüm, das ihr Übelkeit verursachte. Mit Händen, die ihr kaum gehorchten, wusch sie sich

Weitere Kostenlose Bücher