Das Fest des Ziegenbocks
oder Golf zu spielen oder zu reiten oder in die Oper zu gehen, hat mein Hobby darin bestanden, mich über das zu informieren, was in diesen Jahren geschehen ist. Schade, daß wir uns nicht unterhalten können. Wie viele Dinge könntest du mir erklären, du hast sie ja an der Seite deines geliebten Chefs erlebt, der deine Treue so schlecht gelohnt hat. Ich hätte zum Beispiel gern von dir erfahren, ob Seine Exzellenz auch mit meiner Mama ins Bett gegangen ist.«
Sie bemerkt, daß der Alte zusammenzuckt. Ein Ruck ist durch seinen kleinen, zerbrechlichen, eingefallenen Körper gegangen. Urania streckt den Kopf vor und mustert ihn. Ist der Eindruck falsch? Es scheint, als höre er ihr zu, als bemühe er sich zu verstehen, was sie sagt. »Hast du es zugelassen? Hast du dich damit abgefunden? Hast du es für deine Karriere ausgenutzt?« Urania atmet tief. Sie sieht sich im Zimmer um. Zwei Photos in Silberrahmen stehen auf dem Nachttisch. Das ihrer Erstkommunion in dem Jahr, in dem ihre Mutter starb. Vielleicht hatte sie, als sie die Welt verließ, das Bild ihrer engelhaft blikkenden kleinen Tochter im Tüll dieses entzückenden Kleides vor Augen. Das andere Photo ist von ihrer Mutter: jung, das schwarze Haar zweigeteilt, die Augenbrauen gezupft, die Augen melancholisch und träumerisch. Es ist ein altes, vergilbtes Photo, etwas zerknittert. Sie tritt zum Nachttisch, führt es an die Lippen und küßt es.
Sie hört, wie das Auto vor der Haustür bremst. Ihr Herz macht einen Sprung; ohne sich von der Stelle zu rühren, sieht sie durch die Vorhänge den blitzenden Chrom, die glänzende Karrosserie, die funkelnden Reflexe des luxuriösen Fahrzeugs. Sie vernimmt die Schritte, die Türklingel ertönt zwei- oder dreimal, und sie hört – hypnotisiert, entsetzt, reglos –, wie das Dienstmädchen die Tür öffnet. Sie hört, ohne zu verstehen, den kurzen Dialog am Fuß der Treppe. Ihr rasendes Herz wird gleich zerspringen. Das Klopfen am Schlafzimmer. Jung, indianisch, mit Haube, das Gesicht erschrocken, erscheint das Dienstmädchen in der halbgeöffneten Tür. »Der Präsident ist gekommen, um Sie zu besuchen, Senora. Der Generalissimus, Señora!« »Sag ihm, es tut mir leid, aber ich kann ihn nicht empfangen. Sag ihm, Señora Cabral empfängt keine Besuche, wenn Agustin nicht zu Hause ist. Los, sag’s ihm.« Die Schritte des Mädchens entfernen sich, verzagt, unschlüssig, die Treppe voller Töpfe mit rotglühenden Geranien hinunter. Urania stellt das Photo ihrer Mutter auf den Nachttisch zurück, setzt sich wieder auf die Bettkante. In seinen Sessel geduckt, schaut ihr Vater sie beunruhigt an.
»Das hat der Chef mit seinem Erziehungsminister gemacht, am Anfang seiner Regierungszeit, das weißt du ganz genau, Papa. Mit dem jungen Gelehrten Don Pedro
Henriquez Ureña,
der so feinsinnig, so geistvoll war. Er kam seine Frau besuchen, während der bei der Arbeit war. Sie war so mutig, ihm ausrichten zu lassen, sie empfange keine Besuche, wenn ihr Mann nicht zu Hause sei. Am Anfang der Ära war es noch möglich, daß eine Frau sich weigerte, den Chef zu empfangen. Als sie es ihm erzählte, trat Don Pedro zurück, sie gingen fort und setzten nie wieder einen Fuß auf diese Insel. Dank dieser Entscheidung wurde er berühmt als Lehrer, Historiker, Kritiker und Philologe in Mexiko, Argentinien und Spanien. Was für ein Glück, daß der Chef mit seiner Frau ins Bett gehen wollte. In diesen ersten Zeiten konnte ein Minister zurücktreten und erlitt keinen Unfall, stürzte nicht in die Tiefe, kein Verrückter erstach ihn, die Haie fraßen ihn nicht auf. Er hat gut daran getan, findest du nicht? Seine Geste bewahrte ihn davor, das zu werden, was du bist, Papa. Hättest du das gleiche getan oder weggeschaut? Wie dein gehaßter guter Freund, dein verachteter und geliebter Kollege Don Froilán, unser Nachbar. Erinnerst du dich, Papa?«
Der Alte beginnt zu zittern und stimmt seinen makabren Klagegesang an. Urania wartet, bis er sich beruhigt. Don Froilán! Er tuschelte im Wohnzimmer, auf der Terrasse oder im Garten mit ihrem Vater, den er in der Zeit, als sie Verbündete in den internen Kämpfen der Trujillo-Fraktionen waren, mehrmals pro Tag besuchte, Kämpfe, die der Wohltäter schürte, um seine Mitarbeiter zu neutralisieren, sie damit beschäftigt zu halten, daß sie sich vor den Dolchstößen der Feinde schützten, die im Licht der Öffentlichkeit ihre Freunde, Brüder, Gesinnungsgenossen waren. Don Froilán lebte in dem Haus
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