Das Fest des Ziegenbocks
denen du so wichtig warst, Papa, als du dich in einen ganz gewöhnlichen armen Teufel verwandeltest. Man begnügte sich damit, dich im Öffentlichen Forum zu beschimpfen, und steckte dich nicht ins Gefängnis wie Anselmo Paulino. Davor hast du dich am meisten gefürchtet, nicht? Daß der Chef eines Tages befehlen könnte: Cerebrito ins Gefängnis! Du hast Glück gehabt, Papa. Sie ist seit einer Dreiviertelstunde unterwegs, und es fehlt noch ein gutes Stück bis zum Hotel. Wenn sie Geld dabei hätte, würde sie sich in irgendein Café setzen, frühstücken und sich ausruhen. Der Schweiß zwingt sie, sich alle Augenblicke das Gesicht abzuwischen. Die Jahre, Urania. Mit neunundvierzig ist man nicht mehr jung. Auch wenn du dich besser gehalten hast als andere. Aber du bist noch nicht so weit, zum alten Eisen geworfen zu werden, nach den Blicken zu urteilen, die von rechts und links ihr Gesicht und ihren Körper treffen, verführerische, begehrliche, freche, unverschämte Blicke von Männern, die es gewohnt sind, jede Frau auf der Straße mit Augen und Gedanken auszuziehen. »Neunundvierzig Jahre, die dir wunderbar zu Gesicht stehen, Uri«, hatte Dick Litney, ihr Kollege und Freund im New Yorker Anwaltsbüro, am Tag ihres Geburtstages zu ihr gesagt, eine Kühnheit, die kein Mann der Kanzlei sich erlaubt hätte, es sei denn, er hätte, wie Dick an jenem Abend, zwei oder drei Whiskys intus. Armer Dick. Er wurde rot und geriet in Verwirrung, als Urania ihn mit einem dieser langen, eisigen Blicke bedachte, mit denen sie seit fünfunddreißig Jahren auf Komplimente, anzügliche Witze, Scherze, Anspielungen oder dumme Reden der Männer und bisweilen der Frauen reagiert. Sie bleibt stehen, um Atem zu holen. Sie spürt ihr außer Kontrolle geratenes Herz, ihre Brust, die sich hebt und senkt. Sie steht an der Ecke Independencia und Máximo Gómez und wartet inmitten einer Traube von Männern und Frauen darauf, die Straße überqueren zu können. Ihre Nase registriert eine Vielfalt von Gerüchen, die genauso groß ist wie die endlose
Zahl von Geräuschen, die in ihren Ohren hämmern: das Öl, das die Motoren der Autobusse verbrennen und die Auspuffrohre ausstoßen, züngelnde Rauchwölkchen, die sich auflösen oder über den Fußgängern in der Luft schweben; Gerüche nach Fett und Gebratenem von einem Verkaufsposten, wo zwei Pfannen brutzeln und Essen und Getränke angeboten werden, und dieses dichte, undefinierbare, tropische Aroma von Harz und verfaulenden Pflanzen, von schwitzenden Leibern, eine Luft, getränkt mit tierischen, pflanzlichen und menschlichen Ausdünstungen, aufgeheizt von der Sonne, die ihre Auflösung und Verflüchtigung hinauszögert. Es ist ein warmer Geruch, der irgend etwas tief in ihrer Erinnerung anrührt und sie in ihre Kindheit zurückversetzt, zu den Bougainvilleen, die in allen Farben von Dächern und Baikonen herabwuchsen, auf diese Avenida Máximo Gómez. Der Muttertag! Natürlich. Der Mai mit strahlender Sonne, sintflutartigen Regenfällen, Hitze. Die Mädchen der Santo-Domingo-Schule, auserwählt, um Mama Julia, der Erhabenen Matrone, Mutter des Wohltäters, Spiegel und Symbol der dominikanischen Mutter, Blumen zu bringen. Sie kamen in einem Bus von der Schule, in ihren makellosen weißen Uniformen, begleitet von der Oberin und von Sister Mary. Du branntest vor Ungeduld, Stolz, Liebe und Respekt. Du würdest als Abgesandte der Schule das Haus von Mama Julia betreten. Du würdest vor ihr das Gedicht »Mutter und Lehrerin, Erhabene Matrone« aufsagen, das du geschrieben, auswendig gelernt und Dutzende Male vor dem Spiegel, vor deinen Klassenkameradinnen, vor Lucinda und Manolita, vor Papa, vor den Sisters aufgesagt und stumm für dich wiederholt hattest, um sicher zu sein, nicht eine Silbe zu vergessen. Als der glorreiche Augenblick gekommen war, im großen, rosafarbenen Haus von Mama Julia, und sie, verwirrt von den Militärs, den Damen, den Adjutanten, den Delegationen, die sich in Gärten, Zimmern, Fluren drängten, von Aufregung und Rührung überwältigt, einen Schritt nach vorne tat, kaum einen Meter von der alten Frau entfernt, die ihr aus ihrem Schaukelstuhl wohlwollend zulächelte, den Strauß Rosen im Arm, den die Oberin ihr gerade überreicht hatte, bekam sie einen Knoten im Hals, und ihr Kopf war völlig leer. Du brachst in Tränen aus. Du hörtest Lachen, aufmunternde Worte von den Damen und Herren, die Mama Julia umringten. Die Erhabene Matrone hieß dich lächelnd näher treten.
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