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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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Psalmen singt und die Passanten auffordert, dem Herrn ihre Herzen zu öffnen. Was würde der Verdiente Vater des Neuen Vaterlandes zu alldem sagen?«
    Der Invalide hebt und senkt abermals die Schultern und blinzelt schläfrig. Er schließt halb die Augen und sinkt zurück, bereit, ein Nickerchen zu halten. Es stimmt, nie hast du gegenüber Ramfis, Radhamés oder Angelita etwas empfunden, was sich mit dem Haß vergleichen ließe, den dir Trujillo und die Vortreffliche Dame noch immer einflößen. Denn in irgendeiner Weise haben die drei Kinder ihren Anteil an den Verbrechen der Familie mit ihrem Ruin oder ihrem gewaltsamen Tod bezahlt. Und Ramfis hast du nie ein gewisses Wohlwollen versagen können. Warum, Urania? Vielleicht wegen seiner psychischen Krisen, seiner Depressionen, seiner Anfälle von Wahnsinn, dieser Labilität, die von der Familie immer verborgen gehalten wurde und die Trujillo nach den von seinem Sohn im Juni 1959 angeordneten Morden zwang, ihn in Belgien in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen. Bei all seinen Handlungen, selbst bei den grausamsten, gab es etwas Lächerliches, Prätentiöses, Peinliches. Wie die spektakulären Geschenke für die Hollywood-Schauspielerinnen, die Porfirio Rubirosa gratis flachlegte (wenn er sich nicht von ihnen bezahlen ließ). Oder in der Art, wie er die Pläne durchkreuzte, die sein Vater für ihn schmiedete. War es nicht zum Beispiel grotesk gewesen, wie Ramfis den Empfang verdarb, den der Generalissimus für ihn veranstaltete, um ihn für das Fiasko an der Militärakademie Fort Leavenworth zu entschädigen? Er veranlaßte, daß der Kongreß – »Hast du den Gesetzesentwurf vorgelegt, Papa?« – ihn zum Chef des Vereinten Generalstabs der Streitkräfte ernannte und daß ihm nach seiner Ankunft bei einer Militärparade auf der Avenida, am Fuß des Obelisken, die entsprechende Huldigung zuteil werden sollte. Alles war in Ordnung, die Truppen waren aufmarschiert an dem Morgen, an dem die Jacht Angelita, die der Generalissimus nach Miami geschickt hatte, um ihn abzuholen, auf dem Ozama-Fluß in den Hafen einfuhr und Trujillo persönlich ihn in Begleitung von Joaquín Balaguer auf der Anlegemole empfing, um ihn zur Parade zu geleiten. Was für eine Überraschung, was für eine Enttäuschung, was für eine Verwirrung erfaßten den Chef, als er die Jacht betrat und sich mit dem erbärmlichen Zustand des sabbernden Wracks konfrontiert sah, in das sich der arme Ramfis durch die Orgie während der Reise verwandelt hatte. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, war außerstande, einen Satz zu artikulieren. Seine schlaffe, ungehorsame Zunge gab nur noch Grunzlaute von sich. Er hatte glasige Froschaugen, und seine Kleidung war mit Erbrochenem verschmutzt. Und schlimmer noch als um ihn war es um die Freunde und Frauen seiner Begleitung bestellt. Balaguer schrieb es in seinen Memoiren: Trujillo wurde weiß, bebte vor Zorn. Er befahl, die Militärparade und die Vereidigung Ramfis’ als Chef des Vereinten Generalstabs abzublasen. Bevor er ging, nahm er ein Glas in die Hand und brachte einen Trinkspruch aus, der eine symbolische Ohrfeige für den Hohlkopfsein wollte (die Betrunkenheit hinderte ihn sicher daran, das zu verstehen): »Ich trinke auf die Arbeit, die allein der Republik Wohlstand bringen wird.« Ein weiterer hysterischer Lachanfall schüttelt Urania, und der Invalide öffnet erschrocken die Augen. »Du brauchst nicht zu erschrecken.« Urania wird wieder ernst. »Ich muß einfach lachen, wenn ich mir die Szene vorstelle. Wo warst du in diesem Augenblick? Als dein Chef sein betrunkenes Söhnchen entdeckte, umgeben von Huren und Kumpanen, die ebenfalls betrunken waren? Auf der Tribüne
    der Avenida, im Frack, in Erwartung des neuen Chefs des Vereinten Generalstabs der Streitkräfte? Was für eine Erklärung hat man gegeben? Die Parade wird wegen Delirium tremens von General Ramfis abgesagt?« Sie lacht erneut, unter dem tiefen Blick des Invaliden. »Eine Familie zum Lachen und zum Weinen, aber nicht zum Ernst-Nehmen«, murmelt Urania. »Bestimmt hast du dich manchmal für sie alle geschämt. Und Angst und Reue gefühlt, wenn du dir, ganz im geheimen, diese Kühnheit erlaubtest. Ich würde gerne wissen, was du vom melodramatischen Ende der Kinder des Chefs gehalten hättest. Oder von der schäbigen Geschichte der letzten Jahre von Doña Maria Martínez, der Vortrefflichen Dame, der Schrecklichen, der Rächerin, die schreiend verlangte, man solle den

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