Das Fest des Ziegenbocks
Bist du betrunken?« Der Flüssige Verfassungsrechtler zuckte auf seinem Stuhl vor dem Schreibtisch des Wohltäters zusammen. Er ließ mit den Händen von seinem Gesicht ab. »Ich habe keinen Tropfen Alkohol getrunken«, entschuldigte
er sich verwirrt. »Sie wissen, daß ich nicht am Tage trinke, Chef. Nur am Abend und in der Nacht.« Er trug einen Anzug, der dem Generalissimus wie eine Huldigung an den schlechten Geschmack vorkam: halb bleifarben, halb grünlich, mit schillernden Reflexen; wie bei allem, was er anzog, schien sein unförmiger Körper mit dem Schuhlöffel hineingezwängt worden zu sein. Vor seinem weißen Oberhemd baumelte eine bläuliche, gelb getupfte Krawatte, auf der der strenge Blick des Wohltäters Fettflecken entdeckte. Angewidert dachte er, daß er sich diese Flecken beim Essen gemacht hatte, denn der Senator Chirinos aß, indem er sich riesige Bissen in den Mund stopfte, die er hinunterschlang, als fürchtete er, seine Tischnachbarn könnten ihm den Teller fortreißen, und mit halboffenem Mund kaute, aus dem ein Sprühregen aus Speiseresten schoß.
»Ich schwöre Ihnen, ich habe keinen Tropfen Alkohol im Leib«, wiederholte er. »Nur den schwarzen Kaffee vom Frühstück.«
Wahrscheinlich stimmte das sogar. Vor einem Augenblick, als Chirinos in sein Amtszimmer trat, wobei er seinen elefantösen Leib hin und her wiegte, sich langsam vorantastete und den Boden prüfte, bevor er die Fußsohlen aufsetzte, hatte er ihn für betrunken gehalten. Nein, seine Räusche mußten ihm in Fleisch und Blut übergegangen sein, denn selbst in nüchternem Zustand legte er die Unsicherheit und das Zittern des Alkoholikers an den Tag. »Du schwimmst in Alkohol, auch wenn du nicht trinkst, wirkst du betrunken«, sagte er, während er ihn von Kopf bis Fuß mit einem prüfenden Blick maß.
»Das stimmt«, beeilte Chirinos sich mit einer theatralischen Geste zuzugeben. »Ich bin ein poète maudit, Chef. Wie Baudelaire und Rubén Darío.«
Er hatte aschfarbene Haut, ein Doppelkinn, spärliches, fettiges Haar und kleine tiefliegende Augen hinter den geschwollenen Augenlidern. Die Nase, plattgedrückt seit dem Unfall, war die eines Boxers, und der fast lippenlose Mund gab seiner
dreisten Häßlichkeit einen perversen Zug. Immer war er auf unangenehme Weise häßlich gewesen, so sehr, daß seine Freunde vor zehn Jahren bei dem Autounfall, den er wie durch ein Wunder überlebte, dachten, die kosmetische Chirurgie könnte ihn nur zum Guten verändern. Sie tat es zum Schlechten.
Daß er weiterhin Vertrauensperson des Wohltäters war,
Mitglied des kleinen Kreises enger Berater wie Virgilio Älvarez Pina, Paíno Pichardo, Cerebrito Cabral (jetzt in Ungnade) oder Joaquín Balaguer, war ein Beweis dafür, daß der Generalissimus sich bei der Auswahl seiner Mitarbeiter nicht von persönlichen Zu- oder Abneigungen leiten ließ. Trotz des Ekels, den ihm sein Aussehen, seine Ungepflegtheit und seine Umgangsformen immer eingeflößt hatten, besaß Henry Chirinos seit Beginn seiner Regierungszeit das Privileg der heiklen Aufgaben, die Trujillo Leuten übertrug, die nicht nur verläßlich, sondern auch fähig waren. Er war unter denen, die Zugang zu diesem exklusiven Klub gefunden hatten, einer der fähigsten. Er war Anwalt und Verfassungsrechtler. In jungen Jahren war er gemeinsam mit Agustín Cabral hauptsächlicher Urheber der Verfassung gewesen, die Trujillo in den Anfängen der Ära vorlegte, und später sämtlicher Änderungen, die am Text der Verfassung vorgenommen wurden. Er hatte ebenfalls die wichtigsten direkt aus der Verfassung abgeleiteten und sonstigen Gesetze abgefaßt und fast alle gesetzlichen Bestimmungen eingebracht, die der Kongreß verabschiedete, um die Notwendigkeiten des Regimes zu rechtfertigen. Wie er in parlamentarischen Reden voller lateinischer Brocken und – oft französischer – Zitate den willkürlichsten Entscheidungen der Exekutive den Anschein juristischer Gültigkeit verlieh oder mit vernichtender Logik jeden vonTrujillo mißbilligten Vorschlag zurückwies, das machte ihm keiner nach. Sein Geist, der wie ein Kodex organisiert war, fand sofort ein sachliches Argument, um jeder Entscheidung Trujillos den Anstrich der Legalität zu verleihen, gleich, ob es um ein Urteil des Rechnungshofes, des Obersten Gerichtshofes oder um ein Gesetz im Kongreß ging. Ein großer Teil des gesetzlichen Spinnennetzes der Ära war dem teuflischen Geschick dieses großen Rabulisten zu verdanken (so nannte ihn
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