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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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gemacht
    haben?«
    ›Er versteht‹, denkt sie und verstummt. Ihr Vater hat seine Augen starr auf sie gerichtet; in der Tiefe seiner Pupillen liegt eine stumme Bitte: Schweig, hör auf, diese Wunden aufzureißen, diese Erinnerungen heraufzubeschwören. Sie hat nicht die geringste Absicht, der Bitte zu folgen. Bist du nicht deshalb in dieses Land gekommen, das nie wieder zu betreten du geschworen hast?
    »Ja, Papa, zu diesem Zweck bin ich wohl gekommen«, sagt sie so leise, daß es kaum zu hören ist. »Um dir zuzusetzen. Obwohl du mit dem Hirnschlag deine Vorkehrungen getroffen hast. Du hast die unangenehmen Dinge aus deinem Gedächtnis getilgt. Hast du auch die Sache mit mir, mit uns gelöscht? Ich nicht. Nicht einen Tag. Nicht einen einzigen dieser fünfunddreißig Jahre, Papa. Ich habe nie vergessen, dir nie verziehen. Deshalb habe ich aufgelegt, wenn du mich in der Siena Heights University oder in Harvard anriefst, sobald ich deine Stimme hörte, ohne dich ausreden zu lassen. ›Kleines, bist du es…‹, klick. ›Uranita, hör mir zu…‹, klick. Deshalb habe ich nie einen Brief von dir beantwortet. Hast du mir hundert geschrieben? Zweihundert? Ich habe sie alle zerrissen oder verbrannt. Sie waren ziemlich heuchlerisch, deine Briefe. Voller Umschweife, voller Andeutungen, sie könnten ja vor fremde Augen gelangen, es könnten ja andere von dieser Geschichte erfahren. Weißt du, warum ich dir nie verzeihen konnte? Weil du es nie wirklich bedauert hast. Nach so vielen Jahren im Dienst des Chefs hattest du alle Skrupel, alles Empfindungsvermögen, den winzigsten Funken Anstand verloren. Wie deine Kollegen. Wie das ganze Land vielleicht. War das die Voraussetzung dafür, sich an der Macht zu halten, ohne vor Ekel zu sterben? Ein gewissenloser Mensch zu werden, ein Ungeheuer wie dein Chef? Ungerührt und zufrieden zu sein wie der schöne Ramfìs, nachdem er Rosalia vergewaltigt und halb verblutet im Marion-Krankenhaus abgeliefert hatte? Das Mädchen Perdomo kehrte natürlich nicht in die Schule zurück, aber ihr zartes Jungfrau-Maria-Gesicht lebte weiter in den Klassenzimmern, Fluren und Höfen der SantoDomingo-Schule, im Gerede, im Geflüster, in den Phantasien, die ihr Unglück auslöste, wochen- und monatelang, obwohl die Sisters verboten hatten, auch nur den Namen Rosalia Perdomo auszu sprechen. Aber in den Häusern der dominikanischen Gesellschaft, selbst in den absolut trujillotreuen Familien, tauchte dieser Name immer wieder auf, eine ominöse Vorahnung, ein vorweggenommener Schrecken, besonders in Familien mit jungen Mädchen und heiratsfähigen Senoritas, und die Geschichte schürte die Angst, der schöne Ramfis (der obendrein mit der geschiedenen Octavia Ricart verheiratet war) könnte plötzlich das Kind, das junge Mädchen entdecken und mit ihr eines dieser Feste feiern, denen sich der verwöhnte Sprößling nach Lust und Laune hingab, denn wer würde Rechenschaft vom ältesten Sohn des Chefs und von seinem Kreis von Günstlingen fordern? »Es war wegen der Sache mit Rosalia Perdomo, daß dein Chef Ramfis auf die Militärakademie in die Vereinigten Staaten schickte, nicht wahr, Papa?« Auf die Militärakademie Fort Leavenworth, Kansas City, 1958. Um ihn ein paar Jährchen von Ciudad Trujillo fernzuhalten, wo die Sache mit Rosalia Perdomo, wie es hieß, sogar Seine Exzellenz verärgert hatte. Nicht aus moralischen, sondern aus praktischen Gründen. Anstatt sich allmählich einzuarbeiten, sich als Erstgeborener des Chefs vorzubereiten, führte dieser dumme Junge ein flottes Leben mit Polospielen, mit Trinkgelagen in Gesellschaft eines Hofstaats von Nichtstuern und Schmarotzern und mit Spaßen wie dem, die Tochter einer der trujillotreuesten Familien zu vergewaltigen und fast verbluten zu lassen. Verhätschelter, ungezogener Junge. Ab zur Militärakademie Fort Leavenworth, in Kansas City! Urania bricht in hysterisches Lachen aus, und der Invalide duckt sich abermals, als wollte er sich in sich verkriechen, verwirrt durch diesen plötzlichen Lachanfall. Urania lacht so heftig, daß ihre Augen sich mit Tränen füllen. Sie trocknet sie mit einem Taschentuch.
    »Das Mittel war schlimmer als die Krankheit. Der Ausflug des schönen Ramfis nach Fort Leavenworth erwies sich als Belohnung statt als Strafe.«
    Das muß komisch gewesen sein, was, Papa? Der kleine dominikanische Offizier kam, um gemeinsam mit auserwählten nordamerikanischen Offizieren an diesem Elitelehrgang teilzunehmen, und erschien mit den

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