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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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zum Fenster und sieht hinaus. Sie spürt die Kraft der Sonne auf dem Schädel, auf der fieberheißen Haut ihres Gesichts. Sie schwitzt. Du solltest ins Hotel zurückgehen, die Badewanne mit Schaum füllen und ein langes Bad in kühlem Wasser nehmen. Oder hinuntergehen und in den gekachelten Swimmingpool springen und danach das kreolische Büffet im Restaurant des Hotels Jaragua probieren, es wird Bohnen mit Reis und Schweinefleisch geben. Aber du hast keine Lust dazu. Eher ist dir danach, zum Flughafen zu fahren, das erste Flugzeug nach New York zu besteigen und
    wieder dein Leben in der geschäftigen Kanzlei und in deiner Wohnung Ecke Madison und 73. Straße aufzunehmen.
    Sie setzt sich wieder auf das Bett. Ihr Vater schließt die Augen. Schläft er oder tut er nur so, weil du ihm angst machst? Du setzt dem armen Invaliden ziemlich zu. Wolltest du das? Ihn erschrecken, ihm ein paar schreckliche Stunden bereiten? Wirst du dich jetzt besser fühlen? Sie ist auf einmal müde, und da ihr die Augen zufallen, steht sie auf.
    Mechanisch geht sie auf den großen Kleiderschrank aus dunklem Holz zu, der eine ganze Wand des Raumes einnimmt. Er ist halbleer. An ein paar Drahtbügeln hängen ein Anzug aus bleifarbenem Stoff, der wie eine Zwiebelschale ins Gelbliche spielt, und ein paar gewaschene, aber ungebügelte Hemden; zwei mit fehlenden Knöpfen. Das ist von der Garderobe des Senatspräsidenten Agustín Cabral übriggeblieben? Er war ein-• mal ein eleganter Mann. Jemand, der auf sich achtete und tadellos gekleidet war, wie es dem Chef gefiel. Was war aus den Smokings, den Fräcken, den dunklen Anzügen aus englischem Tuch, den weißen aus feinstem Leinen geworden? Wahrscheinlich hatten die Hausangestellten, die Krankenschwestern, die bedürftigen Verwandten sie im Lauf der Zeit mitgehen lassen. Die Müdigkeit ist stärker als ihr Wille, wach zu bleiben. Schließlich legt sie sich auf das Bett und schließt die Augen. Bevor sie einschläft, kann sie gerade noch denken, daß dieses Bett nach altem Mann riecht, nach alten Laken, nach uralten Alpträumen.

    XI

    »Eine Frage, Exzellenz«, sagte Simon Gittleman, das Gesicht hochrot von Champagner und Wein oder vielleicht von der Heftigkeit seiner Gefühle. »Welche der Maßnahmen, die Sie ergriffen haben, um dieses Land groß zu machen, war die schwerste?«
    Er sprach ein ausgezeichnetes Spanisch mit einem vagen Akzent, kein Vergleich mit der karikaturesken, fehlerhaften Sprache, der falschen Betonung der meisten Gringos, die durch die Amtsräume und Salons des Regierungspalastes gegangen waren. Wie sehr hatte sich Simons Spanisch seit
    1921 verbessert, dem Jahr, in dem Trujillo, der junge Leutnant der Nationalgarde, als Schüler in der Offiziersschule in Haina angenommen wurde und den manne als Ausbilder bekam; damals radebrechte er ein barbarisches, mit Kraftausdrücken durchsetztes Kauderwelsch. Gittleman hatte die Frage mit so lauter Stimme gestellt, daß die Gespräche verstummten und zwanzig – neugierige, heitere, ernste – Köpfe sich dem Wohltäter zuwandten und auf seine Antwort warteten. »Ich kann dir antworten, Simon.« Trujillo sprach mit der schleppenden, hohlen Stimme der feierlichen Anlässe. Er richtete den Blick auf den Kristallüster mit den blütenförmigen Glühbirnen und fügte hinzu: »Am 2. Oktober 1937, in Dajabón.«
    Es kam zu raschen Blickwechseln zwischen den Teilnehmern des Mittagessens, das Trujillo zu Ehren von Simon und Dorothy Gittleman nach dem Festakt gab, bei dem der ehemalige marine mit dem Verdienstorden Juan Pablo Duarte ausgezeichnet worden war. Bei seinen Dankesworten war Gittleman die Stimme gebrochen. Jetzt versuchte er zu erraten, worauf sich Seine Exzellenz bezog.
    »Ach ja, die Haitianer!« Sein Schlag mit der Hand auf den Tisch ließ das feine Kristall der Gläser, Schüsseln und Flaschen klirren. »Der Tag, an dem Exzellenz beschlossen, den gordischen Knoten der haitianischen Invasion zu durchhauen.«
    Alle hatten Weingläser, aber der Generalissimus trank nur Wasser. Er war ernst, in seine Erinnerungen versunken. Das Schweigen verdichtete sich. Hieratisch, theatralisch, hob der Generalissimus die Hände und zeigte sie den Gästen:
    »Für dieses Land habe ich mich mit Blut befleckt«, erklärte er, jede Silbe betonend. »Damit die Neger uns nicht noch einmal kolonisierten. Es waren Zehntausende, überall. Die Dominikanische Republik würde heute nicht existieren. Wie
    1840 wäre die ganze Insel Haiti. Die Handvoll

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