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Das Fest des Ziegenbocks

Das Fest des Ziegenbocks

Titel: Das Fest des Ziegenbocks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Vargas Llosa
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überlebender Weißer würde den Negern dienen. Das war die schwerste Entscheidung in dreiß ig Regierungsjahren, Simon.« »Wir haben Ihren Auftrag erfüllt und die Grenze von einem Ende zum anderen kontrolliert.« Der junge Abgeordnete Henry Chirinos beugte sich über die riesige Karte, die ausgebreitet auf dem Schreibtisch des Präsidenten lag, und erläuterte: »Wenn das so weitergeht, wird es keine Zukunft für Quisqueya geben, Exzellenz.« »Die Situation ist ernster, als man Ihnen gesagt hat, Exzellenz.« Der schmale Zeigefinger des jungen Abgeordneten Agustín Cabral fuhr über die punktierte rote Linie, die sich von Dajabón hinunter nach Pedernales schlängelte. »Tausende und Abertausende, die sich auf Plantagen, auf dem freien Feld und in Gehöften niedergelassen haben. Sie haben die dominikanischen Arbeitskräfte verdrängt.« »Sie arbeiten gratis, ohne Lohn, für das Essen. Da es in Haiti nichts zu essen gibt, erscheint ihnen ein bißchen Reis mit Bohnen mehr als genug. Sie kosten weniger als Esel und Hunde.«
    Chirinos machte eine Geste und überließ seinem Freund und Kollegen das Wort:
    »Es ist nutzlos, Plantagen- und Gutsbesitzern mit Vernunftgründen zu kommen, Exzellenz«, erläuterte Cabral. »Sie antworten, indem sie sich auf die Tasche klopfen. Was macht es schon, daß sie Haitianer sind, wenn sie bei der Zuckerrohrernte gut mit der Machete arbeiten und einen Hundelohn verlangen? Ich werde doch nicht aus Patriotismus gegen meine Interessen handeln.« Er verstummte, schaute den Abgeordneten Chirinos an, und dieser löste ihn ab:
    »In Dajabón, Elias Pina, Independencia und Pedernales hört man statt Spanisch nur die afrikanischen Grunzlaute des creole.«
    Er schaute Agustín Cabral an, und dieser spann den Faden fort:
    »Vodu, Hexerei, afrikanischer Aberglaube verdrängen die katholische Religion, die ebenso wie die Sprache und die Rasse Kennzeichen unserer nationalen Identität ist.« »Wir haben Geistliche gesehen, die vor Verzweiflung geweint haben, Exzellenz«, sagte Chirinos mit Tremolo in der Stimme. »Vorchristliche Barbarei breitet sich im Land von Kolumbus, Juan Pablo Duarte und Trujillo aus. Die haitianischen Hexer haben größeren Einfluß als die Pfarrer. Die Heiler mehr als die Apotheker und Ärzte.« »Die Armee hat nichts getan?« Simon Gittleman nahm einen Schluck Wein. Einer der weißuniformierten Diener beeilte sich, ihm nachzuschenken.
    »Die Armee macht, was ihr Chef befiehlt, Simon, das weißt du.« Nur der Wohltäter und der ehemalige marine sprachen. Die anderen hörten zu, und ihre Köpfe bewegten sich von einem zum anderen. »Das Geschwür hatte sich bis weit nach oben gefressen. Montecristi, Santiago, San Juan, Azua wimmelten von Haitianern. Die Pest hatte sich ausgebreitet, ohne daß jemand etwas dagegen getan hätte. In Erwartung eines visionären Staatsmannes, dem die Hand nicht zittern würde.«
    »Stellen Sie sich eine Hydra mit zahllosen Köpfen vor, Exzellenz.« Der junge Chirinos veranschaulichte das Bild mit zirzensischen Gebärden. »Diese Arbeitskräfte rauben dem Dominikaner die Arbeit, der, um zu überleben, sein Stück Land und sein kleines Haus verkauft. Wer kauft ihm das ab? Der reich gewordene Haitianer natürlich.« »Das ist der zweite Kopf der Hydra, Exzellenz«, erklärte Cabral. »Sie nehmen dem Einheimischen die Arbeit weg und bemächtigen sich Stück um Stück unserer Souveränität.«
    »Auch der Frauen.« Henry Chirinos sprach betont ernst und
    seufzte wollüstig; seine rötliche Zunge erschien wie eine Schlange zwischen den dicken Lippen. »Nichts zieht das schwarze Fleisch so sehr an wie das weiße. Schändungen von Dominikanerinnen durch Haitianer sind an der Tagesordnung.«
    »Ganz zu schweigen von den Diebstählen, den Einbrüchen«, bekräftigte der junge Agustín Cabral. »Die Verbrecherbanden überqueren den Masacre-Fluß, als gäbe es keine Zollposten, Kontrollen oder Patrouillen. Die Grenze ist ein Sieb. Die Banden fallen wie Heuschreckenschwärme über Dörfer und Plantagen her. Sie bringen das Vieh und alles, was sie an Essen, an Kleidung, an Schmucksachen finden, nach Haiti. Diese Region gehört uns nicht mehr, Exzellenz. Wir haben schon unsere Sprache, unsere Religion, unsere Rasse verloren. Jetzt ist sie Teil der haitianischen Barbarei.« Dorothy Gittleman, die kaum Spanisch sprach, langweilte sich gewiß bei diesem Dialog über ein Geschehen, das vierundzwanzig Jahre zurücklag, aber ab und zu nickte sie tiefernst, während

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