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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Wilder
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unsere Pflicht!“
    Urnats Späße verwandelten die finsteren verborgenen Wächter wieder in gewöhnliche Vasallen. Als er seines Tanzens und seiner Schau müde war, pflanzte er sich vor Karin-Ru auf und betrachtete sie bewundernd. Er nahm ein Kupferamulett ab, das an einer Schnur um seinen Hals hing und legte es in ihre Hand.
    „O, mein lieber Teufel …“ sagte er. „Sie ist ein Geschöpf mit einem so schönen Gesicht. Sag ihr, daß es ihr keinen Harm tun wird, obwohl es aus Metall ist.“
    Karin dankte ihm und steckte die Hand in ihre Tragetasche. Sie holte einen himmelblauen Musterbeutel aus Seide heraus und legte ihn in Urnats lederbehandschuhte winzigen Hände, wobei sie mit sanfter, flehender Stimme fragte: „Bitte … wo ist unser lieber Freund Scott Gale?“
    Urnat blinzelte mit seinen grünlich-gelben Augen; er hatte den Sinn dieser Frage begriffen, bevor ich sie übersetzte. Ich ahmte den Ton, so gut ich konnte, nach und gab „unser lieber Freund“ als „unser lieber Verwandter“ wieder.
    Der Zwerg wandte sich ab, wobei er den kleinen Seidenbeutel umklammerte, und sagte betrübt: „Auf Tsabeggan. Gullan hat ihn wieder in ihrem Netz.“
    Dann hüpfte er davon und war ebenso schnell verschwunden, wie er gekommen war. Ich übersetzte seine letzten Worte. Ich fügte ihnen nichts hinzu. Draußen plauderten die Granden lauter denn je, und es wurde Musik gespielt. Die Menschen redeten besorgt untereinander.
    Plötzlich trat außerhalb des Zeltes völlige Stille ein, keine Stimmen, keine Musik mehr. Nur die Menschen neben mir redeten weiter, aber ich versuchte sie nicht zum Schweigen zu bringen, ich war zu sehr damit beschäftigt, der Stille zu lauschen. Eine Stimme sprach innerhalb des Zeltes, einmal, zweimal; jedesmal wollte die Stille zurück. Der Gardeoffizier in unserer Wand pfiff leise. Die Stille hing wie Nebel über uns; sogar die Menschenstimmen verstummten nun.
    Ein männliches Wesen mittleren Alters betrat das Gemach, wobei es sich Hände und Hals mit einem Büschel Amythblättern abrieb. Er trug eine schwarze Tunika, die ebenso schlicht geschnitten war wie meine ehemalige graue Gefängnistracht, kreisförmig, an einer Seite schulterfrei; seine Stiefel waren staubig. Sein Gesicht war auffallend, all dessen Züge zeugten, fast übertrieben, von dem Modell eines Granden: blasser Teint, schmaler Mund, starkgebogene Nase, spitz wie ein Vogelschnabel. Seine Brauen ragten wie Klippen über seine länglichen Augen, er besaß den sogenannten „Yadorn“- oder „Dreiäugigen“ Blick; die Augen waren hellbraun; ihre Macht und Konzentration waren überwältigend. Er musterte die Menschen und nickte, noch immer keuchend von seiner Morgengymnastik; er lächelte. Sam, Lisa und Karin erhoben sich sofort von ihren Kissen und standen stramm.
    „Hallo! Willkommen!“ sagte der Große Älteste.
    Er warf die Amythblätter beiseite und setzte sich in einen Korbsessel, ohne die Menschen aus den Augen zu lassen, bis auf einen kurzen Blick zu mir hin; ich verneigte mich.
    „In der Tat willkommen“, fuhr er auf Moruianisch fort. „Es tut mir leid, daß ich Eure Studien auf der Insel Tsabeggan unterbrochen habe, aber die Inseln gehören zu dem Land Torin. Augenblicklich ist mir das ganze Land mit all seinen Bewohnern anvertraut.“
    Der Akzent und der Klang seiner Stimme waren unverkennbar diejenigen, die wir aus dem Munde des Zeugen Obal gehört hatten. Ich überlegte mir, ob Sam und die anderen jetzt mehr davon überzeugt waren. Tiath unterbrach seine Rede und streckte seine lange Hand zu mir aus, ohne sich umzudrehen. Ich übersetzte sogleich, und er fuhr flüssig fort, als ich damit fertig war.
    „Wir sind die einzigen denkenden Wesen auf dieser Welt. Vom grünen Eis im Norden, dem Sitz des Nordwinds, über die gesamte Länge und Breite des Kontinents Torin, von den Heimstätten der Flachsleute im fernen Westen bis zu den Salzhäfen im Osten; auf den gesamten Inseln und dem Land hinter den Inseln bis zu dem blauen Eis in der Südsee gibt es keine andere Rasse. Es gibt zwar legendäre Geister – Geisteshelden, Seeweber, Teufel – aber nicht aus Fleisch und Blut. Wir sind die Moruianer, die Weber, und unsere ältesten Schriften und Runenbänder berichten, wie diese Welt, Torin, in dem Weltraum zum Nutzen der Moruianer und der Tsamuianer, des Feuervolkes, aufgehängt wurde.“
    „Nun seid Ihr ungebeten in dieses unser Land gekommen, und ich betrachte Eure Ankunft, Eure Mächte, Eure Silberschiffe, Eure

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