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Das Feuer das am Nächsten liegt

Das Feuer das am Nächsten liegt

Titel: Das Feuer das am Nächsten liegt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cherry Wilder
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schaute in Karins blaue Augen, wir starrten uns an wie zwei Wesen in einem Traum. Ich nahm die Seile beider Drachen und band sie am Geländer fest. Das Geräusch wuchs an und legte sich wie eine harte Hand auf Itsik. Ich spähte in die Höhe, wobei ich meine Augen abschirmte, und erblickte einen hellen Streifen, der an der Großen Sonne vorbeiglitt und sich allmählich senkte.
    Karin hob das Glück der Pentroys auf und nahm es wie ein Kind in die Arme, wobei sie seinen Kopf mit ihrem Umhang bedeckte. Wir klammerten uns an das Geländer und beobachteten, wie sich die Menge unten in langsamen Pulsschlägen neben einer Herde zerlumpter Gefangener mit emporgerichteten Gesichtern, aufgesperrten Mündern in eine vor Angst wahnsinnige Einheit verwandelte. Ich hielt Ausschau nach den Hausdienern der Pentroys, die uns den Zwerg hätten abnehmen und uns hinunter helfen können, aber sie waren schon fort. Die Menge hatte sich, mit verhüllten Köpfen, geduckt; draußen herrschte links und rechts ein blinder Sog. Die Menge gab ein jammerndes, windiges Geräusch des Schreckens von sich; ich schrie laut, aber meine Stimme ging in dem Geräusch von oben und dem Lärm der Menge unter.
    Der Turm wackelte und schwankte; ich wandte mich der Leiter zu, da sah ich die Bewegung, die ihn umstürzen würde, und sprang im letzten Augenblick hinab. Ich landete auf meinen Füßen im Gras, was an und für sich schon ein Glücksfall war, und ich spürte, wie von Panik ergriffene Kreaturen an meinen beiden Seiten vorbeifegten. Ich kämpfte mich zurück zu dem Wrack des Turms und hielt Ausschau nach Karin-Ru. Das Geräusch in der Luft hatte sich wieder geändert.
    Karin hatte sich nicht verletzt, aber sich in den Strebebalken des eingestürzten Turms verheddert und versuchte vergeblich etwas zu erreichen, was auf dem Boden lag. Ich kroch von unten in die Bruchstücke und schnappte Urnats Körper vor den Füßen der Menge weg. Ich kauerte mich neben Karin und wickelte ihn in meinen Umhang. Sie streckte den Finger aus, und ich wußte, daß das Geräusch nicht mehr direkt über uns war, sondern sich über die zweite Einfriedung bewegte.
    Die Menge machte uns den Weg frei, einen Weg, den sonst niemand betreten wollte. Wir rannten auf das Geräusch zu, wir rannten zu der Palisade und durch das Tor in die zweite Einfriedung. Das neue Tor vor uns stand offen, und ich erhaschte einen Blick von den Vasallen; ich steuerte Karin in die Bara-Plantage. Ich schaute empor und erblickte zum erstenmal das Luftschiff aus dem Weltraum, das Luftschiff Silberreiher, hoch, hoch in der Luft, das in der Sonne funkelte und mit seinem Geräusch Itsik erdrückte.
    „Wo?“ rief ich. „Wo wird es landen?“
    „Dahinten … neben der Straße …“ sagte Karin. „Ist er verletzt? Ich glaube, daß der kleine Kerl schwerverletzt ist …“
    Wir setzten uns unter einen Baum, und ich entrollte meinen Umhang und betrachtete Urnat. Seine Gesichtsfarbe war schlecht; mein Umhang war von einer Schnittwunde an seinem Arm ganz mit Blut getränkt. Ich machte mich mit einem Stein und einem weißen Schal von Karin-Ru an die Arbeit. Ich wußte, daß die Wunde genäht werden mußte, aber ich stillte die Blutung. Währenddessen sahen wir drei oder vier Pentroy-Vasallen, die als einzige nicht den Kopf verloren hatten, von dem fürchterlichen Lärm und Wirrwarr der ersten Einfriedung herbeieilen. Sie riefen dem Pförtner etwas zu, und ich glaubte, die Wörter „Glück! Glück!“ und „Der Teufel …“ zu verstehen. Dann rannten sie durch das Tor, das hinter ihnen geschlossen wurde.
    „Das Tor!“ sagte Karin. „Wir müssen doch durch es hindurch …“
    „Ich kenne einen Weg“, sagte ich.
    Jenseits des neuen Teilstücks der Palisade, am Ende eines hohen alten Pfahlzauns befand sich ein Laubengang in die dritte Einfriedung. Die Gefangenen hatten ihn benutzt, wenn sie bei den Buschwebern zusätzliches Essen einhandelten. Wir krochen hindurch und gelangten in hohes Gras. Die dritte Einfriedung sah verlassen aus, mit Anzeichen der Panik – umgekippte Sessel und Blumenrahmen auf den Stufen des schwarzen Zeltes, umgestürzte Wagen mit Proviant im Gras. Als wir uns das betrachteten, rafften sich ein paar Hausdiener neben einem der umgestürzten Wagen auf und zeigten uns, wohin jeder gegangen war. Sie rannten zum Zelt und vergruben sich unter den äußeren Falten. Noch immer senkte sich das Luftschiff, und ein Wind kam auf und wirbelte über das Zeltdach des Großen Ältesten.
    Karin

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