Das Feuer des Daemons
Leidenschaft. Er ließ die Hand ein Stück tiefer sinken und an ihrem Halsansatz kreisen.
Ich glaube, diesmal hat mich die Angst um dich meine Unsterblichkeit gekostet.
Tut mir leid,
sagte sie.
Er lehnte seine Stirn gegen ihre und sagte in ihrem Kopf – so leise, dass sie ihn kaum hören konnte:
Grace, du wärst fast gestorben. Ich will nicht wissen, wie das ist.
Dass sie im Gegensatz zu ihm früher oder später sterben würde, brauchte sie ihm nicht zu erklären, denn diese Tatsache hing wie das Damoklesschwert an einem einzigen Haar über ihren Köpfen. Sie blieb stumm, streichelte sein Gesicht und sog seine tröstliche Gegenwart in sich auf.
Aber weil auch der Orakelmond manchmal ein abartiges Biest sein konnte, scherte er sich nicht darum, dass auch Grace nur eine begrenzte Anzahl an Offenbarungen auf einmal ertragen konnte. Dieser endlose Tag war noch nicht fertig mit ihr, und das dunkle Meer überrollte sie erneut, eine Flutwelle voller Anfänge und Enden, mit allen möglichen Formen der Zukunft und der Vergangenheit.
Diesmal war die Vision, die Grace überkam, messerscharf, und Grace erkannte, dass das Schwert, das über ihren Köpfen schwebte, in Wahrheit nicht ihre Sterblichkeit war, sondern etwas völlig anderes. Unaufhörlich wurde sie mit Bildern von möglichen Formen ihrer Zukunft bombardiert, bis sie keuchend zurückschreckte.
Khalil packte sie an den Schultern. Seine Berührung holte sie schlagartig wieder ins Hier und Jetzt. Tief besorgt sah er sie an. »Was ist los? Du bist ja ganz weiß geworden.«
Mit hämmerndem Herzen starrte sie ihn an, dann nahm ihr Gesicht einen grimmigen Ausdruck an. »Nein«, sagte sie. »Eins nach dem anderen. Im Moment habe ich genug um die Ohren.«
»Gracie«, brachte er zwischen den Zähnen hervor.
Oh Götter, sie liebte es, wenn er sie so nannte, mit seiner perfekten Mischung aus Empörung und Zärtlichkeit. Für den Augenblick verdrängte sie das Wissen aus ihrer Vision und sah ihn mit großen Augen an. »Ich kann mich nicht erinnern, gesagt zu haben, ich würde dir von jeder Kleinigkeit erzählen, die in meinem Kopf vorgeht. Und ich weiß ziemlich sicher, dass wir darüber keinen Handel geschlossen haben.«
Er sah aufgebracht und unberechenbar und tatsächlich ein bisschen böse aus, und da passierte es. Zum vierten Mal an diesem Tag verliebte sie sich Hals über Kopf in ihn. Wie lange ihr Leben auch dauern mochte, sie glaubte, es würde ihr sehr gefallen, sich jedes Mal Hals über Kopf in ihn zu verlieben, wenn sie ihm in die Augen sah und in die Ewigkeit fiel. Immer verlieben, immer fallen.
»Ich werde es schon aus dir herauskriegen«, knurrte er sanft über die Köpfe der müden, schlafenden Kinder hinweg.
»Wow, du erträgst wirklich keine Geheimnisse, was? Wirst du Weihnachten mit uns feiern? Dich mit den Geschenken aufzuziehen wird der
Wahnsinn
!«
Er ließ sie los, klatschte die Hände zu beiden Seiten ihres Kopfes gegen den Baumstamm und beugte sich über sie. Er sah erbittert aus, als würde er gleich explodieren, aber Grace konnte seine wahren Gefühle spüren. Ihre kleinen Kämpfe waren ein Spiel, das sie beide sehr liebgewonnen hatten. Sein eigentlicher Zorn galt etwas anderem. »Du bist ein so unverschämter und respektloser Mensch.«
»Definitiv, so nennst du mich schließlich immer.« Sie grinste ihn an. »Na, hast du den kapiert?«
Sein Mundwinkel zuckte. Sie strich mit ihrer Gegenwart über seine und glich sich wieder daran an.
Er ließ den Baumstamm los, vergrub eine Hand in ihrem Haar und hielt sie einfach nur fest. Mit einem tiefen Versprechen in seinem Blick sah er ihr in die Augen. Auch wenn ihr Haus in Trümmern lag, ihr Leben sich für immer verändert hatte und das Schwert auf sie herniederzufallen und sie zu zerteilen drohte, fühlte sie sich in diesem Moment so lebendig wie nie zuvor in ihrem Leben.
Als er die Hand aus ihrem Haar löste und ihr über den Nacken streichelte, wandte er plötzlich den Kopf. Dann hörte Grace Stimmen. Katherine, John, ihre Kinder und die Dschinn-Eskorte waren eingetroffen, um Chloe und Max sicher nach Houston zu bringen. Khalil nahm Chloe von Grace’ Schoß. Mithilfe ihres Stocks hievte sich Grace auf die Füße.
Katherine hatte eindeutig geweint, und John, der Petra und Niko ebenfalls geliebt hatte, war erneut von Trauer und Wut ergriffen. In fassungsloser Stille starrten sie auf die zerstörte Rückseite des Hauses, ehe sie die Kinder mit äußerster Zärtlichkeit einsammelten. Als John und
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