Das Feuer Kabals
sein würde.
Heute dachte sie jedoch nur an die Feierlichkeiten unten im Tal. Der jüngere Sohn der Winzer des bekannten Weins »Klosterwein Flammengrube« hatte sie eingeladen, am Weinfest teilzunehmen, das alljährlich um diese Zeit in Kustak stattfand. Iskar lebte mit seiner Familie dort, wo sie einen »hervorragenden« Rotwein an den Berghängen anbauten. Jedenfalls sagte Iskar, dass der Wein hervorragend sei. Seraphia hatte keine Ahnung von Wein, sie mochte nur die süßen Weine und niemand lobte diese so überschwänglich wie das herbe Zeug, das Iskars Familie nach ganz Iidrash auslieferte.
Seraphia schnürte die Robe zu und sah auf ihre Hände. Sie trug bereits die Armreifen und die zehn Fingerringe. Eine Halskette, die Ringe an den Zehen und die Reifen um ihre Fußgelenke trug sie seit letztem Monat, wo sie den Tag ihrer Geburt gezählt hatte. Sie biss sich auf die Unterlippe, als sie an die Initiation dachte. Sie würde mit den anderen Anwärterinnen in die Spalte reisen, wo tief im Gestein des Gebirges die Shedau‘Kin, die eigenartigen Zwerge wohnten. Gestern waren einige der Shedau‘Kin ins Kloster gekommen und hatten Maß genommen. Es war ihr unangenehm gewesen, sich vor den kleinen Männern und Frauen zu entblößen, doch diese waren so mit ihrer Arbeit beschäftigt gewesen, dass sie sich bald wieder gefasst hatte. Sie hatte angenommen, die Anwesenheit der älteren Priesterinnen würde zu übertriebener Förmlichkeit und dieser bestimmten Form von »würdevoller« Atmosphäre führen, die offiziellen Anlässen oftmals zu eigen ist. Doch es war ganz anders gewesen. Es gab Leckereien (von denen die Shedau‘Kin am meisten aßen), es wurde viel herumgewitzelt und geplaudert und am Ende saß man noch stundenlang in gelassener Heiterkeit beisammen, bis die Zwerge wieder aufbrachen. Sie würden nun ihr Pentacut und das der anderen Adeptinnen anfertigen und Seraphia wusste, dass sie erst eine Priesterin des Ordens werden könnte, wenn das Metall des Pentacuts mit ihrem Körper verbunden war. Angeblich war es nur ein bisschen schmerzhaft. Sie fürchtete sich dennoch davor, denn unter den Adeptinnen kursierten Gerüchte über Todesfälle, Verwandlungen und abfaulende Körperteile. Die Priesterinnen jedoch lachten und schüttelten nur den Kopf, wenn sie davon hörten.
Sie sah aus dem Fenster des Schlafsaals und blickte in das Tal hinab. Das Kloster ruhte hoch auf einem Felsen, der ausschließlich über einen Aufzug erreichbar war. Sie würde es nicht verlassen können, ohne dass die Torwächterin es erlaubte. Und die Torwächterin hörte nur auf den Befehl der Priesterinnen und der Äbtissin. Seraphia wusste es, sie war nicht die Einzige, die mit honigsüßen Worten versucht hatte, eine Ausnahme zu erbitten. Selbstverständlich erfolglos.
Also kein Weinfest.
Sie seufzte und drehte sich um, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte. Sie erschrak, denn es war die Äbtissin persönlich. Sie trug ihre dunkle Robe und hatte die Kapuze zurückgeschlagen. Lächelnd sah sie an Seraphia vorbei ins Tal.
»Das Weinfest, hm?«
Seraphia grinste verlegen.
»Ich habe Louian angewiesen, alle Adeptinnen hinabzulassen, die den Wunsch verspüren, an dem Fest teilzunehmen.«
»Wirklich?«, rief Seraphia ungläubig.
»Beeil dich! Es wird allmählich eng im Fahrstuhl.«
Seraphia wollte losrennen, hielt inne, verbeugte sich tief und lief erst los, als sie den Raum verlassen hatte. Cendrine sah ihr mit ernstem Blick nach und schaute dann aus dem Fenster in die Berge.
Seraphia hielt ihre Robe hoch und hetzte die breite Treppe in den Eingangssaal hinab, übersprang jede zweite Stufe und stolperte beinahe. Das Licht und die Wärme der Flammengrube erhellten und erwärmten den Saal trotz seiner ausgedehnten Maße und der Kälte hier oben im Gebirge. Sie ging schnell zu den anderen, die schnatterten wie ein Schwarm Gänse und sich in den bronzenen Fahrstuhl zwängten. Louian schüttelte lächelnd den Kopf und legte den Hebel um. Das Tor schloss sich quietschend und der Metallkorb glitt auf seiner Schiene abwärts. Seraphia schaute zwischen den Gittern hinaus. Die Sterne glitzerten über den verschneiten Gipfeln. Zwei Drachen kreisten dort und ließen sich schließlich auf den Türmen Krains nieder, die sich scherenschnittartig vor den letzten Strahlen der Sonnen abzeichneten. Unten im Tal blinkten zahlreiche Lichter. Es war heller als üblich, alle Bewohner hatten Laternen und Lampen entzündet, um das Weinfest zu feiern.
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