Das Feuer Kabals
dran gewöhnen. Verstecken muss sie wahrlich nichts. Wenn ich mich nicht täusche, ist sie genau der richtige Lockvogel für Faunus.
Die Hohepriesterin streckte die Hand aus. Sie zog sich an mächtigen Energiebündeln aus den Wäldern von Garak Pan. Ihr Ziel lag am anderen Ende Iidrashs. Mit einem Aufblitzen erschien sie in der Wüste Sa‘Ilak. Die Sonne warf Charnas harten Schatten über den heißen Sand. Sie atmete auf. Die Wälder hatten ihr noch nie zugesagt, die Wüste hingegen gefiel ihr. Hier war es heiß, trocken und einsam. Auch wenn sie gerade nicht allein war, mochte sie das Gefühl, das ihr die Wüste gab, sobald sie ihre Zehen in den Sand grub und den Blick in die Ferne schweifen ließ. Sa‘Ilak war ein überschaubarer, geordneter und klarer Ort, mit einfachen Regeln. So ganz anders als ihr Leben.
Sie drehte sich herum und genoss das Licht der Abendsonnen auf ihrem Gesicht und ihrer Haut. Die Dünen waren hier flach und hart. Das Skelett eines Ki‘Ral lag vierzig Schritt neben ihr halb begraben vom Sand. Ein zusammengeflicktes, verblichen blaues Zeltdach spannte sich über seine enormen Rippen. Eine vermummte Gestalt trat daraus hervor. Sie war in schwarzes Tuch gehüllt und ihre Augen blitzten aus dem dunkelhäutigen Gesicht. Charna schlenderte hinüber. Die Gestalt verneigte sich tief und ehrerbietig, schien zu wachsen und sich zu verändern, als sie den Kopf wieder erhob.
»Seid willkommen, meine Herrscherin!«
»Du neckst mich erneut, Mehmood. Du spielst mit deinem Leben, weißt du das?«
Der Mann starrte sie an. Seine Augen verrieten ihn. Sie sah das Lachen darin und lachte selbst laut los. Mehmood zog das Tuch von seinem Gesicht. Seine schwarze Haut betonte das blitzende Weiß seiner Zähne.
»Ich hatte mit Euch gerechnet, doch nicht so bald«, sagte er und bat sie in sein Zelt. »Tee?«
»Wir müssen das verschieben. Die Sidaji sterben.«
Mehmood sah sie erschrocken an. »Die Heiler aus Asla? Ich hatte gehört, dass sie …«
»Das Mittel konnte den Tod nicht verhindern.«
»Dann müssen wir den Tee in der Tat verschieben«, sagte Mehmood.
»Ich muss zu Seral. Ich brauche seine Hilfe. Kabal braucht seine Hilfe.«
»Er wartet bereits auf euch?«
Charna schüttelte den Kopf. »Es war keine Zeit.«
Mehmood musterte sie ernst und zweifelnd. »Seid Ihr sicher, dass Ihr …«
Ihr Blick schnitt ihm das Wort ab und Mehmood schritt eilig in die Wüste hinaus, die Sonne im Rücken. Charna folgte ihm. Er blieb nach hundert Schritt stehen und warf die Arme in die Höhe. Die heiße Wüstenluft flirrte über dem Sand. Der gesamte Horizont verschwamm. Ein Rumoren und Poltern in der Erde setzte ein, bis sie die Vibrationen in den Füßen spürte. Der Sand spritzte unvermittelt wie kochendes Öl in den Himmel und ein titanischer Riss tat sich im Boden vor ihnen auf, keine fünf Schritt von ihrem Standpunkt entfernt. Es war, als ob Kabal vor ihnen in zwei Teile zerbrechen wollte. Ein gewaltiges Donnern ließ die Wüste erzittern.
»Wir holen den Tee nach, Mehmood«, schrie Charna.
»Meine Gebete begleiten Euch, Hohepriesterin!«, rief Mehmood schwitzend. Er hielt die Arme immer noch ausgestreckt und nickte Charna vor Anstrengung zitternd zu. Sie lächelte zurück und sprang in den Namenlosen Abgrund. Die Finsternis griff augenblicklich nach ihr und zerrte sie fort vom Licht. Der Riss schloss sich tosend, der Lärm war markerschütternd. Die Wände rückten näher und Charna beschleunigte ihren Fall, indem sie einen Machtstrang herbeirief und sich von ihm nach unten reißen ließ. Sand und Felsbrocken fielen neben ihr in die Tiefe, doch sie wurde bald schneller und raste ausweichend an ihnen vorbei. Über ihr schloss sich der Spalt. Sie war nun weit genug hinabgestürzt, um in einer der zahllosen Höhlen des Namenlosen Abgrunds angelangt zu sein. Sie verlangsamte ihren Sturz, bis sie mit gemächlichem Tempo vor einer steilen Felswand hinabglitt. Fahles Licht drang aus einer weiten Höhle zu dem Sandberg vor, der sich zu ihren Füßen gebildet hatte. Der feine Sand würde sie verschlucken, sollte sie versuchen, darauf zu landen. Sie änderte die Richtung ihres Fluges und stieß tiefer in die gigantische Höhle vor, die sich ihren Blicken darbot.
Dies ist Serals Reich. Endlich.
L‘Ishaan hatte vor ihm hier geherrscht. Und obwohl er Charnas Mutter Sarinaca die Treue geschworen hatte, bestritt er ihre Herrschaft über Iidrash, bis Seral ihm den Garaus gemacht hatte.
Charna drang im Flug weiter
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