Das Feuer Kabals
Stimme. Sie sprach nie zu laut. »Cendrine! Ich habe dich fern von hier gesehen. Hast du ein Portal benutzt, um hierher zu kommen?«
»Ja. Eile ist geboten.«
Kassandra sah die Äbtissin durchdringend an und musterte ihr Gesicht. Cendrine sah zu Boden.
»Ich weiß. Willst du dein Orakel hören?«
»Du kennst die Antwort.«
»Es ist das kürzeste Orakel, das ich je vernommen habe. Es lautet: Erinnere dich! Das ist alles.«
Kassandra trat vom Podest.
Cendrine lachte leise.
Was habe ich anderes erwartet?
»Erkennst du die Bedeutung dieser Worte?«
Cendrine atmete tief ein. »Vielleicht. Meine Gedanken ziehen mich seit Wochen weit in die Vergangenheit zurück. Es ist, als suchte mein Verstand nach etwas, was ich vergessen habe. Ein altes Wissen, das dringend gebraucht wird? Ein Ort, eine Person, ein Gegenstand? Ich weiß es nicht.«
»Erinnerst du dich an deine Träume in letzter Zeit?«
Cendrine bewegte die Lippen, trotzdem fand sie nicht den Mut, zu sagen, was ihr auf der Seele brannte. »Nein. Ich erinnere mich an überhaupt keine Träume mehr.«
»Das Unbewusste will zu dir sprechen, doch du hast es von deinem Leben ausgeschlossen. Du vertraust bei deinen Fähigkeiten auf deine Instinkte, darüber hinaus lässt du dich aber ausschließlich von deinem Verstand leiten. Du musst die Tür zum Unbewussten erneut aufstoßen, damit du dich in allen Situationen auf deine Intuition verlassen kannst. Wenn du dich heute Abend zur Nachtruhe legst, achte darauf, dass Stift und Papier in der Nähe sind. Sobald du morgen erwachst, notier sofort deine Träume! Denk nicht über das nach, was du schreibst! Lass es einfach fließen! Lies die Texte nicht! Wenn du das eine Woche lang gemacht hast, nimm deine Notizen zur Hand und komm zu mir.«
Cendrine zögerte sichtlich.
»Was ist Cendrine?«
Kassandra trat auf Cendrine zu und umfasste zärtlich ihr Gesicht. Cendrines Lippen zitterten und sie hielt Kassandras Hände fest umschlossen.
»Oh, Cendrine, was ist nur mit dir geschehen?«
»Ich schlafe nicht mehr, Sandra, ich schlafe nicht mehr!«
Kassandra schloss die schluchzende Cendrine in ihre Arme. »Wieso bist du nicht eher zu mir gekommen?«
»Ich habe schreckliche Angst. Was ist los mit mir?«
»Seit wann schläfst du nicht mehr?«
»Drei Wochen, oder länger, ich weiß nicht.«
Kassandra erschrak.
»Cendrine! Du schläfst seit drei Wochen nicht mehr und redest mit niemandem darüber?«
»Es macht mir nichts aus«, sagte Cendrine fest.
»Dass du davon nicht stirbst, ist richtig, meine unsterbliche Freundin. Doch du leidest und bist nicht du selbst.«
Kassandra überlegte einen Augenblick. Cendrine löste sich aus ihren Armen. Die Seherin strich ihr vorsichtig die Tränen aus dem Gesicht und streichelte ihr über die Wangen. Cendrine atmete tief ein und beruhigte sich.
»Hat Charna dich hierher geschickt?«
»Ja. Ich soll Mikar und Thanasis nach Idrak bringen. Die Sidaji, sie …«
»… sterben, ich weiß. Ich werde dich begleiten und wir werden gemeinsam herausfinden, was mit dir los ist.«
Cendrine schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht von dir verlangen.«
»Das musst du auch nicht. Ich habe es bereits beschlossen. Außerdem möchte ich etwas mehr Zeit mit Thanasis verbringen. Ich habe einen gewaltigen Fehler gemacht, Cendrine.«
Die Äbtissin sah auf und sammelte sich. »Er liebt dich sehr. Du kannst ihm vertrauen.«
»Das hätte ich auch tun sollen. Es hat ihn verletzt, dass ich das Orakel befragt habe, statt seinen Worten zu vertrauen.«
»Er wird dir verzeihen, Sandra.«
Kassandra lächelte und küsste Cendrine auf die Wange. »Ich freue mich, dass wir uns endlich wiedersehen.«
»Ich auch«, sagte Cendrine und drückte Kassandra noch einmal an sich.
»Hab keine Angst mehr! Wir werden herausfinden, warum du seit drei Wochen nicht geschlafen hast.«
Cendrine lächelte und nickte, doch die Anspannung trieb ihr noch einmal die Tränen in die Augen. Sie atmete tief ein und Kassandra beruhigte sie, bis sie sich wieder gefangen hatte. Sie hakte sich bei ihr unter. »Lass uns hinausgehen! Mikar kann uns auch ohne das Portal nach Idrak bringen.«
Die beiden Frauen verließen langsam und in Gedanken den Orakeltempel. Sie bemerkten nicht den Schemen, der in einer Ecke der Pyramide reglos und fast unsichtbar verharrte, bis sie das Gebäude verlassen hatten.
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Kapitel 3
Charna blickte Seraphia einen Augenblick hinterher. Sie sah aus, als würde sie ihre Robe vermissen.
Sie wird sich noch
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