Das Feuer Kabals
vor. Der Höhlenboden lag steinig und unwegsam zehn Schritt unter ihr, doch die Decke wölbte sich hundert Schritt über ihr in die Höhe. Phosphoreszierenden Flechten bildeten die einzige Lichtquelle. Sie wuchsen um feuchte Bereiche an den Wänden und neben flachen Teichen, die sich in Felssenken gebildet hatten. Charnas Augen durchdrangen auch die tiefste Dunkelheit, und so sah sie hier genug.
Der Namenlose Abgrund war ein Ort, den sie nicht begriff. Sie war nun nicht mehr auf Kabal, so viel wusste sie zu sagen. Dennoch war dieser Ort mit ihrer Heimatwelt auf untrennbare Weise verbunden. Die Spalte in der Wüste Sa‘Ilak war nur der Übergang gewesen, der sie hierher geführt hatte.
Sie erreichte das Ende der Höhle und gewahrte einen Durchgang, der von breiten Säulen flankiert wurde. Gläserne Laternen hingen daneben, deren kugelförmigen Behälter mit einer grünleuchtenden Flüssigkeit gefüllt waren.
Warum ist dieser Ort jedes Mal anders, wenn ich hierher komme? Oder liegt es daran, dass Seral mich diesmal nicht begleitet?
Charna ließ sich zu Boden sinken. Ihre nackten Fußsohlen berührten den kalten und feuchten Boden. Ein Rinnsal eiskalten Wassers floss neben ihr durch den Torbogen. Dahinter war ein Tunnel, dessen Ende sie nicht sehen konnte und der beständig abwärts führte. Die Wände waren von Erzadern durchzogen. In regelmäßigen Abständen hingen Laternen wie jene am Eingang an den Wänden und warfen ihr blasses, unheimliches Licht gegen das nasse Gestein. Charna folgte den lang gezogenen Biegungen eine geraume Zeit. Eine der gläsernen Lampen lag zerbrochen auf dem Weg vor ihr. Die selbstleuchtende Flüssigkeit war den Tunnelboden hinab gelaufen. Ein grünlich glimmender Streifen begleitete sie eine Weile und an einer Stelle war ein Fußabdruck darin zu erkennen. Etwas war denselben Weg gekommen wie sie, doch hatte es große Pfoten gehabt.
Schließlich machte der Tunnel einen scharfen Knick und endete abrupt vor einem Tor. Das Metall seiner Gitterstäbe war grün angelaufen, aber stabil und in gutem Zustand. Ein Schloss sicherte den Durchgang. Charna wollte mit einer Handbewegung das Hindernis hinwegfegen, aber sie besann sich eines Besseren. Dieser Ort hatte seine eigenen Gesetze und es war ratsam, ihnen zu folgen. Sie berührte das kalte Metall der Klinke. Das Schloss war nicht verriegelt und sie konnte das Tor in seinen quietschenden Angeln öffnen. Sie verschloss es hinter sich und folgte dem Gang, der nun stärker bearbeitet war. Die Laternen hingen dichter bei einander und der Boden verlief nahezu waagerecht.
Nach einem Rechtsbogen endete der Stollen vor einem runden Ausgang, der grob in die Wand gehauen worden war. Charna betrat eine leere Halle. Kolossale grüne und schwarze Fliesen bedeckten den schmutzigen Boden in regelmäßigem Muster. Dreihundert Schritt über ihrem Kopf spannte sich die verputzte Gewölbedecke. Eine Tür, so gewaltig groß, dass sie fast bis zur Decke reichte, war am anderen Ende der Halle zu erkennen. Sie war nur angelehnt, ein Lichtschimmer fiel durch den Spalt hindurch. An der linken, weit entfernten Wand war ein Konstrukt zu erkennen, das siebzig Schritt in die Höhe ragte.
Verdammt, das ist ein Tisch!
Charna sah sich um und entdeckte weitere Bauten, die sich als riesenhafte Möbelstücke entpuppten. Eine hölzerne Truhe mit gewölbtem Deckel, groß wie ein Haus, stand zu ihrer Linken. Ein Schemel mit einer gespannten Sitzfläche aus einem Stück Leder, das so dick war wie ein Oberschenkel, ragte in die Höhe wie ein Turm. Unter der Decke hing eine Öllampe aus Ton, ausladend wie ein Boot.
Die Hohepriesterin fühlte sich klein und verletzlich. Sie wollte instinktiv in die Höhe steigen, doch sie schien ihre Fähigkeit zur Levitation verloren zu haben. Sie probierte, ein Feuer in ihrer Hand aufsteigen zu lassen. Nichts geschah. Sie rief ihre Aura-Sicht herbei, aber ihre Sicht blieb unverändert.
Das ist eines der Spielchen, welche dieser Ort mit einem treibt. Ich muss Ruhe bewahren.
Die Hohepriesterin atmete tief und ruhig durch, ließ die letzten Minuten Revue passieren, bis sie wieder in der Gegenwart angelangt war. Sie sah sich um.
Das Tor war ein erster Test. Ich habe auf meine Kräfte verzichtet, aber ich wusste, dass ich sie jederzeit zur Verfügung habe. Hier haben mich meine Kräfte verlassen. Was bleibt ist mein Körper und mein Verstand. Dieser Raum ist ein Rätsel. Ich muss es lösen!
Sie schritt voran und erschrak. Ein Steinchen hatte
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