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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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er. »Sie könnten unmöglich so lebendig sein wie du und ich. Das wäre absurd.« Und dann erklärte er, daß die alten Seher, getrieben durch ihre Beschäftigung mit dem Tod, die wunderlichsten Möglichkeiten ins Auge faßten. Diejenigen, die sich für das Vorbild der Verbündeten entschieden, sehnten sich zweifellos nach dem Himmel. Und sie fanden ihn, an einer feststehenden Position in einem der sieben Bänder anorganischer Bewußtheit. Dort fühlten die Seher sich relativ sicher. Immerhin waren sie durch eine beinah unüberwindliche Barriere von der alltäglichen Welt geschieden - der Wahrnehmungsbarriere, die durch den Montagepunkt bestimmt ist. »Als die vier Seher sahen, daß du deinen Montagepunkt zu verschieben wußtest, da flüchteten sie wie die Fledermaus aus der Hölle«, sagte er lachend.
    »Meinst du, ich habe eine der sieben Welten zusammengesetzt?« fragte ich.
    »Nein, das hast du nicht«, antwortete er. »Aber du hast es früher einmal getan, als die Seher und ihre Verbündeten hinter dir her waren. An diesem Tag gelangtest du bis in ihre Welt. Die Schwierigkeit liegt nur darin, daß du dich so gerne töricht benimmst, und darum kannst du dich nicht daran erinnern.« »Ich bin mir sicher, es ist die Gegenwart des Nagual«, fuhr er fort, »die manchmal die Menschen dazu bringt, sich so dumm zu verhalten. Als der Nagual Julian noch da war, stellte ich mich dümmer an als jetzt. Ich bin überzeugt, wenn ich nicht mehr da bin, wirst du dich an alles erinnern können.« Weil Don Juan mir jene zeigen wollte, die dem Tode trotzten, so erklärte er mir, hätten er und Genaro sie an die Grenzen unserer Welt herangelockt. Ich hätte anfangs eine tiefe Seitwärts-Verschiebung vollzogen, die mir erlaubte, sie als Menschen zu sehen, aber schließlich sei mir die richtige Verschiebung gelungen, die mir erlaubte, die dem Tode Trotzenden und ihre Verbündeten als das zu sehen, was sie sind.
    Früh am anderen Morgen, in Silvio Manuels Haus, rief mich Don Juan in das große Zimmer, um die Ereignisse der vergangenen Nacht mit mir durchzusprechen. Ich war erschöpft und sehnte mich nach Ruhe, nach Schlaf, aber Don Juan hatte es eilig. Er fing sofort an mit seiner Erklärung: Die alten Seher, sagte er, hätten einen Weg gefunden, die rollende Kraft zu nutzen und sich von ihr tragen zu lassen. Statt sich den Angriffen des Schwenkers auszusetzen, schwebten sie auf ihm dahin und bewegten ihren Montagepunkt bis an die Grenzen des Menschenmöglichen. Don Juan äußerte seine vorbehaltlose Bewunderung für diese großartige Leistung. Nichts wäre besser geeignet, als der Schwenker, so sagte er, um dem Montagepunkt einen solchen Schub zu versetzen.
    Ich fragte ihn, welcher Unterschied bestünde zwischen dem Schub der Erde und dem Schub des Schwenkers?
    Der Schub der Erde, so erklärte er, sei die Ausrichtungskraft nur der bernsteinfarbenen Emanationen. Es sei ein Schub, der die Bewußtheit in unvorstellbarem Maß steigere. Für die neuen Seher sei es der Anbruch unbegrenzter Bewußtheit, den sie als absolute Freiheit bezeichneten.
    Der Schub des Schwenkers hingegen sei die Kraft des Todes. Unter dem Einfluß des Schwenkers bewege sich der Montagepunkt in unvorhersehbaren neuen Positionen. Daher seien die alten Seher immer allein auf ihrer Reise gewesen, auch wenn das Unternehmen, auf das sie sich eingelassen hätten, stets ein gemeinschaftliches gewesen sei. Wenn sie in Begleitung anderer Seher auf die Reise gingen, so war dies meist zufällig und führte leicht zu Vormachtkämpfen.
    Ich mußte Don Juan gestehen, daß mir die Unternehmungen der alten Seher, welche immer es sein mochten, schlimmer vorkämen als die düstersten Horrorgeschichten. Er lachte schallend. Meine Worte amüsierten ihn offenbar.
    »Du mußt aber zugeben, daß diese Teufel, auch wenn du sie abstoßend findest, sehr wagemutig waren«, fuhr er fort. »Auch ich selbst habe, wie du weißt, nicht viel übrig für sie, aber ich muß sie einfach bewundern. Ihre Liebe zum Leben ist etwas Unfaßliches für mich.«
    »Wie könnte man so etwas Liebe zum Leben nennen, Don Juan? Es ist etwas Ekelhaftes«, sagte ich.
    »Was sonst könnte einen Mann zu solchen extremen Taten treiben - wenn nicht die Liebe zum Leben?« fragte er. »Sie liebten das Leben so leidenschaftlich, daß sie nicht bereit waren, es aufzugeben. So habe ich es gesehen. Mein Wohltäter sah etwas anderes. Er glaubte, sie fürchteten sich vor dem Sterben - was nicht dasselbe ist, wie das Leben zu

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