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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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nachhinein an diese Emanationen zu erinnern, die nur im Zustand gesteigerter Bewußtheit genutzt wurden, und das heißt, sie aufs neue hervorzuheben.
    Er erinnerte mich daran, wie Genaro mir stets empfohlen hatte, ich solle lernen, mit der Fingerspitze statt mit dem Bleistift zu schreiben, um nicht so viele Notizen anzusammeln. In Wirklichkeit meinte Genaro, wie Don Juan mir erklärte, ich solle, während ich mich im Zustand gesteigerter Bewußtheit befand, irgendwelche ungenutzten Emanationen nutzen, um auf diese Weise Gespräche und Erfahrungen zu speichern. Dann könnte ich mich eines Tages an alles erinnern, indem ich die dabei genutzten Emanationen wieder hervorhöbe.
    Und weiter erklärte er, daß ein Zustand gesteigerter Bewußtheit nicht nur als Glut zu sehen sei, die sich tiefer in die eiförmige Schale des Menschen erstrecke, sondern auch als ein intensives Leuchten an der Oberfläche des Kokon. Dies aber sei nichts im Vergleich mit dem Leuchten, das durch totale Bewußtheit hervorgerufen werde, und das als weißglühende Eruption in dem gesamten leuchtenden Ei zu sehen sei. Es sei eine Licht-Explosion von solchen Ausmaßen, daß die Grenzen der Schale sich auflösten und die inneren Emanationen sich in unvorstellbare Weiten ausdehnten.
    »Sind solche Fälle die Ausnahme, Don Juan?« »Gewiß. Sie widerfahren nur Sehern. Weder andere Menschen noch sonstige Lebewesen können so aufstrahlen. Seher, die in voller Absicht die totale Bewußtheit erreichen, sind ein denkwürdiger Anblick. Das ist der Augenblick, da sie in ihrem Inneren brennen. Das Feuer von innen verzehrt sie. Und in voller Bewußtheit verschmelzen sie mit den allgemeinen Emanationen und schweben auf in die Ewigkeit.«
    Nach etlichen Tagen in Sonora fuhr ich Don Juan zurück in die Stadt im Süden Mexikos, wo er und sein Krieger-Zug lebten. per nächste Tag war heiß und dunstig. Ich war faul und irgendwie verstimmt. Am Nachmittag herrschte in dieser Stadt eine bedrückende Stille. Don Juan und ich saßen auf bequemen Sesseln in dem großen Zimmer. Ich erzählte ihm, daß solch ein Leben in den ländlichen Regionen Mexikos nicht mein Geschmack sei. Ich hätte das unangenehme Gefühl, daß die Stille in dieser Stadt erzwungen sei. Das einzige Geräusch, das ich hörte, waren kreischende Kinderstimmen in der Ferne. Ich konnte nie feststellen, ob sie beim Spiel jauchzten oder vor Schmerzen schrien.
    »Wenn du hier bist, bist du immer im Zustand gesteigerter Bewußtheit«, sagte Don Juan. »Das ist ein großer Unterschied, Aber wie dem auch sei, du solltest dich daran gewöhnen, in einer Stadt wie dieser zu leben. Eines Tages wirst du es tun.« »Warum sollte ich in einer solchen Stadt leben müssen?« »Ich habe dir erklärt, daß die neuen Seher das Ziel hatten, frei zu sein. Und Freiheit hat ganz verheerende Konsequenzen. Unter anderem die Konsequenz, daß der Krieger absichtlich nach Veränderung streben muß. Du ziehst es vor, so zu leben, wie du es tust. Du schmeichelst deiner Vernunft, indem du dein Inventar durchgehst und es mit den Inventaren deiner Freunde vergleichst. Solche Manöver lassen dir wenig Zeit, dich selbst und dein Schicksal zu prüfen. All dies wirst du aufgeben müssen. Umgekehrt müßtest du, wenn du nichts anderes kennengelernt hättest als die Todesruhe dieser Stadt, früher oder später die andere Seite der Münze kennenlernen.« »Ist es das, was ihr hier macht, Don Juan?« »Unser Fall liegt etwas anders, denn wir sind am Ende unseres Weges angelangt. Wir suchen nichts mehr. Was wir hier tun, ist etwas, das nur Krieger begreifen. Wir leben von Tag zu Tag und tun nichts. Wir warten. Ich muß es noch einmal wiederholen: Wir wissen, daß wir warten, und wir wissen, worauf wir warten. Wir warten auf die Freiheit!
    Und jetzt, wo du dies weißt«, fügte er grinsend hinzu, »laß uns zu unserem Gespräch über die Bewußtheit zurückehren.« In der Regel wurden wir, solange wir in diesem Zimmer saßen, von niemandem gestört, und Don Juan bestimmte immer die Länge unserer Diskussionen. Diesmal aber hörten wir ein höfliches Klopfen an der Tür, und Genaro trat ein und setzte sich. Ich hatte Genaro nicht mehr gesehen seit dem Tag, als wir in großer Hast sein Haus verließen. Ich umarmte ihn.
    »Genaro hat dir etwas zu sagen«, sagte Don Juan. »Ich sagte dir doch, er ist der Meister der Bewußtheit. Jetzt kann ich dir auch verraten, was dies bedeutet. Er versteht es, den Montagepunkt tiefer in das leuchtende Ei

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