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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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würde, als er einen lauten Pistolenschuß hörte und Menschen in alle Richtungen davonlaufen sah. Er sprang mit ihnen ins Gebüsch am Straßenrand und kam erst wieder aus seinem Versteck hervor, als er sah, wie sich eine Gruppe um einen am Boden liegenden Verwundeten sammelte.
    Der Verwundete war natürlich Don Juan, der von dem tyrannischen Vorarbeiter angeschossen worden war. Der Nagual Julian sah sofort, daß Don Juan ein besonderer Mensch sei, mit einem Kokon, in vier Abschnitte statt in zwei unterteilt. Er erkannte auch, daß Don Juan schwer verwundet war. Er wußte, daß er keine Zeit verlieren durfte. Sein Wunsch war in Erfüllung gegangen, aber er mußte sich beeilen, bevor jemand merkte, was hier geschah. Er schlug die Hände über dem Kopf zusammen und schrie: »Man hat meinen Sohn erschossen!«
    Er war mit einer der Seherinnen seines Zuges unterwegs, einer robusten Indianerin, die in der Öffentlichkeit immer als seine zänkische Frau auftrat. Sie waren ein hervorragendes Team von Pirschern. Er gab der Seherin ein Zeichen, und auch sie fing an zu jammern und ihren Sohn zu beweinen, der bewußtlos und am Verbluten sei. Der Nagual flehte die Dabeistehenden an, nicht die Polizei zu rufen, sondern ihm lieber zu helfen, seinen Sohn nach Hause zu schaffen, in die Stadt, die in einiger Entfernung lag. Er bot sogar ein paar starken jungen Männern Geld, damit sie seinen verwundeten, sterbenden Sohn schleppten. Die Männer trugen Don Juan in das Haus des Nagual Julian. Der Nagual war sehr großzügig und bezahlte sie reichlich. Die Männer waren so gerührt über das trauernde alte Elternpaar, das den ganzen Weg bis zum Hause geweint hatte, daß sie sich weigerten, das Geld anzunehmen, aber der Nagual Julian bestand darauf, daß sie es nähmen, weil dies seinem Sohn Glück bringen werde.
    Ein paar Tage lang wußte Don Juan nicht, was er von dem freundlichen Paar halten sollte, das ihn in sein Haus aufgenommen hatte. Der Nagual Julian, so sagte Don Juan, sei ihm als ein beinah seniler alter Mann vorgekommen. Er selbst war kein Indianer, aber er war mit einer jungen, jähzornigen, fetten Indianerin verheiratet, die nicht so sehr kräftig, als vielmehr unbeherrscht war. Don Juan hielt sie eindeutig für eine Heilerin, zu urteilen nach der Art, wie sie seine Wunde behandelte, und nach den Mengen an Heilpflanzen, die sich in dem Zimmer stapelten, wo man ihn untergebracht hatte.
    Auch tyrannisierte die Frau den Alten, und sie befahl ihm, Don Juans Wunde jeden Tag zu versorgen. Sie hatten für Don Juan ein Bett aus einer dicken Matte bereitet, und der alte Mann mußte sich mühselig niederknien, um ihn zu erreichen. Don Juan mußte sich Mühe geben, nicht zu lachen bei dem komischen Anblick des gebrechlichen Alten, wie er versuchte, die Knie zu beugen. Und während der alte Mann seine Wunde wusch, murmelte er unaufhörlich vor sich hin; er hatte einen leeren Blick in den Augen, seine Hände zitterten und sein Körper bebte vom Kopf bis zu den Zehenspitzen.
    Wenn er dort am Boden kniete, kam er nie wieder alleine hoch. Er schrie jedesmal nach seiner Frau, mit einer gellenden, rauhen Stimme voll unterdrückter Wut. Die Frau pflegte dann ins Zimmer zu kommen, und die beiden gerieten stets in furchtbaren Streit. Oft rannte sie hinaus und ließ den Alten alleine sich hochrappeln.
    Nie habe ihm jemand so leid getan, beteuerte Don Juan, wie dieser freundliche arme alte Mann. Oft wäre er am liebsten aufgestanden, um ihm zu helfen, aber er konnte sich selbst kaum bewegen. Einmal benötigte der Alte eine halbe Stunde, die er fluchend und jammernd und keuchend herumkroch wie eine Schnecke, bis er endlich den Türstock erreichte, an dem er sich mühselig hochzog.
    Seine schlechte Gesundheit, so erklärte er Don Juan, sei bedingt durch sein hohes Alter, durch nie richtig geschiente Knochenbrüche, durch Rheumatismus. Der alte Mann, erzählte Don Juan, habe die Augen zum Himmel gehoben und ihm gestanden, daß er der unglückseligste Mensch auf Erden sei. Hilfesuchend sei er zu der Heilerin gekommen, und es habe damit geendet, daß er sie heiratete und ihr Sklave wurde.
    »Ich fragte den alten Mann, warum er sie nicht verließ«, fuhr Don Juan fort. »Die Augen des Alten weiteten sich vor Angst. Er erstickte beinahe an seinem eigenen Speichel, als er mir Schweigen gebot, und dann erstarrte er und fiel wie ein Klotz neben mein Bett auf die Erde, um mich am Sprechen zu hindern. >Du weißt ja gar nicht, was du sprichst, du weißt ja gar

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