Das Feuer von Innen
nicht, was du sagst. Niemand kann von hier weglaufen<, wiederholte der alte Mann immer wieder mit gehetztem Blick.
Und ich glaubte ihm. Ich war überzeugt, daß er noch erbärmlicher dran war als ich selbst. Und mit jedem Tag fühlte ich mich unbehaglicher in diesem Haus. Das Essen war großartig, und die Frau ging immer aus, um Leute zu heilen, darum blieb ich allein mit dem Alten zurück. Wir sprachen viel über mein Leben. Ich unterhielt mich gerne mit ihm. Ich erzählte ihm, daß ich kein Geld hätte, um ihn für seine Freundlichkeit zu entschädigen, aber ich würde alles tun, um ihm zu helfen. Er sagte, ihm sei nicht mehr zu helfen, und er sei bereit zu sterben; falls ich es aber ernst meinte mit dem, was ich sagte, würde er es sehr anerkennen, wenn ich nach seinem Tode seine Frau heiraten wollte. Da wußte ich, daß der Alte nicht richtig im Kopf war. Und ich wußte auch, ich mußte so bald wie möglich fortlaufen.« Als Don Juan wieder soweit hergestellt war, daß er ohne Hilfe gehen konnte, bot sein Wohltäter ihm eine beängstigende Demonstration seiner Fähigkeiten als Pirscher. Ohne Vorankündigung oder Überleitung stellte er Don Juan einem anorganischen Wesen gegenüber. Da er ahnte, daß Don Juan weglaufen wollte, ergriff er die Gelegenheit, ihm einen heillosen Schreck einzujagen - mit Hilfe eines Verbündeten, der das Aussehen eines abscheulichen Menschen annehmen konnte.
»Der Anblick dieses Verbündeten raubte mir fast den Verstand«, fuhr Don Juan fort. »Ich konnte meinen Augen nicht trauen, und doch stand das Ungeheuer direkt vor mir. Und der Alte neben mir wimmerte und flehte das Ungeheuer an, sein Leben zu schonen. Siehst du, mein Wohltäter war wie die alten Seher. Er konnte seine Angst stückweise austeilen, und der Verbündete reagierte entsprechend. Das wußte ich aber nicht. Das einzige, was ich mit meinen eigenen Augen sah, war ein abscheuliches Geschöpf, das uns auf den Leib rückte, bereit, uns in Stücke zu reißen. In dem Augenblick, als der Verbündete, zischend wie eine Schlange, sich auf uns stürzte, wurde ich ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, erzählte mir der alte Mann, er habe mit dem Wesen einen Pakt geschlossen.«
Und er klärte Don Juan auf, daß dieser Mann sich bereit gefunden habe, sie beide am Leben zu lassen, vorausgesetzt, daß Don Juan in den Dienst des Alten träte. Ängstlich erkundigte sich Don Juan, was es mit diesem Dienst auf sich habe. Es wäre die Sklaverei, erwiderte der Alte, aber er wies Don Juan auch darauf hin, daß sein Leben vor wenigen Tagen, als er niedergeschossen worden war, ohnehin beinah zu Ende gewesen wäre. Wären nicht er und seine Frau gekommen, um die Blutung zu stillen, dann wäre Don Juan sicherlich gestorben, und deshalb könne er sich damit, oder dafür, nicht viel einhandeln. Dies wisse auch das Ungeheuer, das ihn jederzeit in die Enge treiben könne. Der Alte empfahl Don Juan, er solle nicht lange zaudern und den Pakt akzeptieren; falls er sich weigere, werde das Ungeheuer hinter der Tür hereingestürzt kommen und sie beide auf der Stelle töten. »Ich hatte noch den Nerv, den Alten, der wie ein Blatt im Winde zitterte, zu fragen, auf welche Weise das Ungeheuer uns umbringen werde«, fuhr Don Juan fort. »Er sagte, das Ungeheuer habe versprochen, uns alle Knochen im Leibe zu brechen, mit den Füßen angefangen. Wir sollten unsägliche Qualen leiden, und unser Sterben werde mindestens fünf Tage lang dauern.
Ich akzeptierte die Bedingungen des Ungeheuers sofort. Der Alte, Tränen in den Augen, beglückwünschte mich und sagte, der Pakt sei eigentlich gar nicht so schlimm. Wir würden eher Gefangene denn Sklaven des Ungeheuers sein, aber immerhin würden wir uns zweimal am Tage satt essen können. Und da wir noch am Leben wären, könnten wir für unsere Freiheit arbeiten; wir könnten Pläne schmieden, still dulden und uns einen Ausweg aus dieser Hölle erkämpfen.«
Don Juan lächelte und fing an zu lachen. Er hatte im voraus gewußt, wie ich über den Nagual Julian denken würde. »Ich sagte dir ja, du würdest entsetzt sein«, sagte er. »Ich kann es tatsächlich nicht verstehen, Don Juan«, sagte ich. »Welchen Sinn könnte es haben, eine so komplizierte Maskerade aufzuführen?«
»Der Sinn ist ganz einfach«, sagte er, immer noch lächelnd. »Es ist nur eine andere Methode des Lehrens, und eine sehr gute. Sie verlangt dem Lehrer ungeheure Phantasie und ungeheure Kontrolle ab. Meine Lehrmethode entspricht eher dem,
Weitere Kostenlose Bücher