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Das Feuer von Innen

Das Feuer von Innen

Titel: Das Feuer von Innen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Castaneda
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die eigentliche Suche der Seher.«
    Das Verschieben des Montagepunktes, so wiederholte er, sei das ein und alles auf dem Weg der Krieger. Die alten Seher hätten versäumt, diese Wahrheit zu erkennen. Sie hielten die Verschiebung dieses Punktes für einen Indikator, der ihre Stellung auf einer Werte-Skala anzeige. Doch sie verfielen nie auf den Gedanken, daß es gerade diese Position sein könnte, die bestimmte, was sie wahrnahmen.
    »Die Methode der Pirscher«, fuhr Don Juan fort, »kann in den Händen eines Meister-Pirschers, wie der Nagual Julian einer war, erstaunliche Verschiebungen des Montagepunktes hervorbringen. Und zwar ganz grundsätzliche Veränderungen. Weißt du, indem der Pirscher-Lehrer den Lehrling stützt, gewinnt er die volle Kooperation und Mitwirkung des Lehrlings. Und diese volle Kooperation und Mitwirkung des anderen zu gewinnen, ist das vielleicht wichtigste Resultat der Pirscher-Methode; und der Nagual Julian war der Größte, wenn es galt, diese beiden Dinge zu gewinnen.«
    Don Juan fand keine Worte, um seinen inneren Aufruhr zu schildern, in den er geraten war, nachdem er allmählich die reiche Persönlichkeit und die schwierigen Lebensbedingungen des Nagual Julian kennenlernte. Solange Don Juan es mit einem verängstigten, gebrechlichen alten Mann zu tun hatte, der hilflos zu sein schien, war er noch einigermaßen unbefangen. Aber eines Tages, bald nachdem sie den Pakt mit jenem - wie Don Juan meinte -menschlichen Ungeheuer geschlossen hatten, brach sein Zutrauen in Stücke, als nämlich der Nagual Julian Don Juan eine weitere Demonstration seiner Pirscher-Fahigkeiten bot. Obgleich es Don Juan inzwischen wieder recht gutging, schlief der Nagual Julian immer noch im selben Zimmer mit ihm, um ihn versorgen zu können. Als er an diesem Tag erwachte, erklärte er Don Juan, ihr beider Zwingherr sei für ein paar Tage verreist, und dies bedeute, daß er sich nicht mehr als alter Mann zu verstellen brauche. Er gestand Don Juan, er habe nur geheuchelt, so alt zu sein, um das Ungeheuer hinters Licht zu führen. Ohne Don Juan Zeit zum Nachdenken zu lassen, sprang er mit unglaublicher Behendigkeit von seinem Bett auf. Er bückte sich und tauchte den Kopf in einen Wasserkessel, wo er ihn eine Weile untergetaucht hielt. Als er sich wieder aufrichtete, war sein Haar jettschwarz, das Grau war wie abgewaschen, und Don Juan hatte einen Mann vor sich, den er noch nie gesehen hatte, einen Mann von etwas über fünfunddreißig Jahren. Er ließ seine Muskeln spielen und atmete tief durch und weckte alle Glieder, als sei er zu lange in einem beengenden Käfig eingesperrt gewesen. »Wie ich den Nagual Julian als jungen Mann sah, hielt ich ihn tatsächlich für den Teufel selber«, fuhr Don Juan fort. »Ich schloß die Augen, wußte, mein Ende war nah. Der Nagual Julian lachte, bis ihm die Tränen flossen.«
    Dann aber, erzählte Don Juan, habe der Nagual Julian ihn beruhigt, indem er ihn zwischen der Bewußtheit der rechten Seite und der linken Seite hin und her wechseln ließ. »Zwei Tage lang stolzierte der junge Mann im Haus umher«, fuhr Don Juan fort. »Er erzählte mir Geschichten aus seinem Leben und Witze, die mich vor Lachen durchs Zimmer kugeln ließen. Erstaunlicher noch war die Veränderung, die mit seiner Frau vor sich ging. Sie war tatsächlich schlank und schön. Ich dachte zuerst, sie sei eine ganz andere. Ich sah fasziniert, wie vollkommen sie sich verändert hatte, und wie schön sie war. Der junge Mann sagte zu mir, in der Abwesenheit ihres Zwingherrn sei sie immer eine ganz andere Frau.«
    Don Juan lachte und meinte, sein teuflischer Wohltäter habe damit die Wahrheit gesprochen. Die Frau war in Wirklichkeit eine andere Seherin aus dem Nagualzug.
    Don Juan fragte den jungen Mann, warum sie beide vortäuschten, etwas zu sein, was sie nicht waren. Der junge Mann betrachtete Don Juan mit Tränen in den Augen und rief aus, die Wunder dieser Welt wären wahrhaft unergründlich.
    Er und seine junge Frau würden von unerklärlichen Kräften gefangengehalten und müßten sich durch diese Täuschung schützen. Wenn er sich als alter Mann gebärde, so deshalb, weil ihr Unterdrücker die Angewohnheit habe, durch Türspalten hereinzuspähen. Er bat Don Juan, ihm zu verzeihen, daß er auch ihn getäuscht hätte. Don Juan erkundigte sich, wer dieses menschliche Ungeheuer sei. Tief seufzend gestand der junge Mann, er selbst könne es nicht einmal erraten. Obwohl er selber ein gebildeter Mann sei, wie er Don

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