Das Feuer von Innen
was du unter Lehren verstehst. Sie verlangt eine ungeheure Menge Wörter. Ich gehe bis ins Extrem beim Schwätzen. Der Nagual Julian ging bis ins Extrem beim Pirschen.«
Don Juan sagte, es gebe zwei Lehrmethoden bei den Sehern. Er selbst sei mit beiden vertraut. Er bevorzuge aber diejenige, die vom Lehrer verlange, alles zu erklären, und den anderen aufzuklären, was ihm bevorstünde. Es sei ein System, das Freiheit, Verstehen und freie Entscheidung fördere. Die Methode seines Wohltäters hingegen beruhe eher auf Zwang und ermögliche weder freie Entscheidung noch Verständnis. Ihr großer Vorteil liege aber darin, daß sie vom Krieger verlange, die Prinzipien der Seher unmittelbar zu leben, ohne dazwischentretende Erklärungen.
Alles, was Don Juans Wohltäter mit ihm machte, so erklärte er, sei eine Meisterleistung der Strategie gewesen. Alle Worte und Taten des Nagual Julian seien sorgfältig gewählt worden, um einen bestimmten Effekt zu erzielen. Er habe die Kunst beherrscht, seine Worte und Taten in den am besten geeigneten Rahmen zu stellen, damit sie die notwendige Wirkung erreichten. »Das ist die Methode der Pirscher«, fuhr Don Juan fort. »Sie fördert nicht Verständnis, sondern absolute Erkenntnis. Ich zum Beispiel brauchte ein Leben lang, um zu verstehen, was er mit mir machte, als er mich diesem Verbündeten gegenüberstellte, obwohl ich all dies ohne jede Erklärung erkannte, als ich diese Erfahrung direkt durchlebte.
Ich sagte dir doch, daß Genaro beispielsweise nicht versteht, was wir tun. Aber seine Einsicht in das, was er tut, ist so klar, wie sie nur sein kann. Und zwar deshalb, weil sein Montagepunkt durch die Methode der Pirscher in Bewegung gesetzt worden ist.«
Wenn der Montagepunkt hingegen durch die Methode, alles zu erklären, aus seiner üblichen Lage verschoben werde, wie in meinem Fall, so brauchte es immer auch die Hilfe eines anderen, nicht nur um den Montagepunkt zu lösen, sondern auch, um das Geschehen zu erklären. Werde aber der Montagepunkt durch die Methode der Pirscher in Bewegung gebracht, wie in seinem oder Genaros Fall, so brauchte es nur den ersten, katalytischen Akt, der den Punkt aus seiner Position reiße.
Als nun der Nagual Julian, so sagte Don Juan, ihn diesem ungeheuerlichen Verbündeten gegenüberstellte, da bewegte sich sein Montagepunkt unter dem Einfluß der Angst. Eine so intensive Angst, wie sie durch diese Konfrontation ausgelöst wurde, im Zusammenwirken mit seiner körperlichen Schwäche, habe die idealen Bedingungen geschaffen, bei ihm den Montagepunkt zu verschieben.
Um aber die nachteiligen Folgen solcher Angst auszugleichen, sagte er, müsse deren Wirkung abgefangen, dabei aber nicht verringert werden. Eine Erklärung, was damals passierte, hätte seine Angst nur verringert. Der Nagual Julian habe sicherstellen wollen, daß er sich dieser ersten katalytischen Angst Don Juans bedienen könne, sooft er sie brauchte; andererseits wollte er aber auch sicherstellen, daß er ihre verheerende Wirkung abfangen könne. Und dies sei der Grund für seine Maskerade gewesen. Je komplizierter und dramatischer seine Geschichten waren, desto größer ihr Abfang-Effekt. Wenn er selbst anscheinend mit Don Juan im selben Boot saß, so war die Angst nicht so intensiv, als wenn Don Juan allein gewesen wäre.
»Mit seinem Hang zum Dramatischen«, fuhr Don Juan fort, »konnte mein Wohltäter meinen Montagepunkt weit genug verschieben, um mir eine unmittelbare, nachhaltige Anschauung der beiden Haupteigenschaften des Kriegers zu geben: beharrliches Bemühen und unbeugsame Absicht. Ich wußte, daß ich, um eines Tages wieder frei zu sein, in geordneter und beharrlicher Weise dafür arbeiten mußte, und zwar in Zusammenarbeit mit dem gebrechlichen alten Mann, der meine Hilfe, wie ich meinte, ebenso brauchte wie ich die seine. Ich wußte jenseits allen Zweifels, daß mir dies wichtiger war als alles andere in meinem Leben.«
Erst zwei Tage später sprach ich wieder mit Don Juan. Wir waren in Oaxaca und schlenderten am frühen Morgen über die Plaza. Da waren Kinder auf dem Weg zur Schule und Leute, die zur Kirche gingen, ein paar Männer, die auf den Bänken saßen, und Taxifahrer, die auf Touristen aus dem Hotel warteten. »Das Schwierigste auf dem Pfad der Krieger ist selbstverständlich, den Montagepunkt in Bewegung zu bringen«, sagte Don Juan. »Diese Bewegung, das ist die Vollendung der Suche des Kriegers. Von dort weiterzugehen, das ist eine andere Sache. Es ist
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