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Das Feuer von Konstantinopel

Das Feuer von Konstantinopel

Titel: Das Feuer von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingmar Gregorzewski
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alles erklären, bitte... so hören Sie doch!“
    „Halt’ deinen Mund! Dich hat keiner was gefragt!“, herrschte der Polizist ihn an und packte ihn am Nacken, als wäre Felix ein Hund, der nicht ganz stubenrein ist.
    Felix überlegte fieberhaft: ‚Ich habe nichts mehr, keine Eltern, kein Zuhause, kein Geld. Ich habe nur die Lumpen eines Bettlers an meinem Körper. Sie glauben mir nicht, kein einziges Wort. Was soll ich tun?’
    Der Polizist zerrte Felix vor einen älteren Mann in einem grauen Mantel. In seinem Schädel schimmerten ein paar rot geäderte Augen, die der Mann zusammenkniff, als er kurz zu Felix herabschaute. Sein Blick sagte: ‚Ich habe schon viel in meinem Leben gesehen, verschont mich bitte mit euren ewig gleichen Ausreden.’
    „Das ist der Junge, Herr Kommissar!“, sagte der Polizist untertänig zu dem Mann im grauen Mantel.
    „Dieses widerwärtige verlauste Pack! Ich kann es nicht mehr sehen! Schmeißt ihn von mir aus ins Gefängnis. Da kann er wenigstens kein Unheil mehr anrichten!“, erwiderte der Kommissar mit müder Stimme und zog an einer dicken Zigarre.
    „Sie müssen mir helfen!“, bat Felix ihn mit eindringlicher Stimme. „Bitte! Mein Name ist Felix von Flocke und ich wohne hier. Das da vorne ist mein Elternhaus.“
    Als Antwort traf den Jungen die große, harte, fleischige Hand des Kommissars mitten ins Gesicht. Der Schmerz breitete sich im Nu aus und fühlte sich bitter und erniedrigend an.
    „Ihr lügt doch alle, sobald ihr nur eure dreckigen Mäuler aufreißt! Immer die gleiche Leier mit euch! – Los, ab mit dem Brandstifter, in die Zelle mit ihm!“, brüllte der Kommissar.
    Zwei Polizisten ergriffen Felix und rissen ihn mit sich. Felix hatte nicht die geringste Chance, sich gegen die beiden Männer zur Wehr zu setzen.
    „Lassen Sie mich los!“, schrie Felix aus Leibeskräften. Die feine Dame, die ihn verleumdet hatte, hob stolz ihren Kopf und fragte die Umstehenden: „Wo ist man denn überhaupt noch sicher auf der Welt?“
     
    Baptist liebte die Dächer der Stadt. Dort oben fühlte er sich sicher. Niemals in seinem Leben war der Junge auf einem Berg gewesen, geschweige denn hatte er jemals einen gesehen. Die Dächer der Stadt, das waren seine Berge, hier kamen ihm die besten Gedanken. Auf ein Dach zog er sich zurück, wenn er von der Welt genug hatte. Von hier aus sah er über eine riesige Ansammlung von Häusern, beobachtete, wie die Sonne unterging, blickte auf die anderen Dächer, unter denen die Menschen ihr Dasein fristeten. An Tagen mit klarer Witterung konnte er auf Kuppeln und Türme in der Ferne und sogar bis zum Stadtschloss des Kaisers sehen.
    Um ihn herum gab es ein Heer von Schornsteinen, die unablässig rauchten und dadurch Himmel und Erde verschmutzten. Selten verirrte sich ein Vogel in diese von Gott verlassene Gegend der Stadt, die aus düsteren kleinen Straßen und schiefen, fauligen, grauen Häusern bestand und von den Menschen abfällig das ‚Krätzeviertel’ genannt wurde.
    Baptist aß gerade die kalte aber gekochte Kartoffel, die er sich in der Armenküche erbettelt hatte, als er die Krähe am Himmel entdeckte. Sie zog elegant ihre Kreise und mied geschickt die Rauchschwaden, die aus den Kaminen aufstiegen.
    ‚Der Himmel ist unendlich’, dachte sich Baptist und stellte sich vor, wie die Kaiserin ihrem Sohn das Haar bürstete, wie sie mit ihm sprach, weil sie wissen wollte, warum er so traurig war, und wie sie ihm ein Honigbrot reichte, um ihn zu trösten. Ein Honigbrot, dafür lohnte es sich zu leben. Noch einmal in ein Honigbrot beißen, das wollte Baptist, bevor ihn die Pest oder die Cholera oder die Schwindsucht holte. Das war gut möglich, denn im Krätzeviertel herrschte an Not und Gefahren kein Mangel, auch wenn es sonst nicht viel gab.
    Die untergehende Sonne hatte den Himmel über dem einsamen Jungen in ein prachtvolles Rot entzündet, und die Krähe ging irgendwo zwischen den Häusern nieder und war verschwunden. Baptist konnte sie nicht mehr sehen.
    ‚Merkwürdig, sie hat mich beobachtet’, dachte sich der Junge.
    Dann lächelte er und sagte sich: ‚Jeder arbeitet auf seine Weise für Gott.’
    „Baptist!“, schallte eine Stimme feierlich durch die engen Gassen zu ihm hinauf aufs Dach.
    „Baptist, wo steckst du?“
    Baptist horchte auf. Er hörte die Stimme nicht zum ersten Mal. Sie rief ihn jeden Abend um die gleiche Zeit. Noch einmal sah Baptist zum Himmel. Doch der blieb leer.
    Der Junge ließ sich Zeit, er hatte es nicht

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