Das Feuer von Konstantinopel
Hand des Fremden sah Felix nicht zum ersten Mal in seinem Leben.
‚Er ist der Teufel!’, dachte sich der Junge.
Der Kardinal lachte leise, als hätte er Felix’ Gedanken gelesen. Ja, er schien sich sogar über den Jungen zu amüsieren.
„Du solltest mir dankbar sein. Ich könnte dir eine Arbeit besorgen“, sprach er.
„Eine Arbeit?“, fragte Felix erstaunt zurück. „Was für eine Arbeit?“
„Du brauchst eine Arbeit, sonst kannst du ja nirgendwo bleiben“, erklärte ihm der Kardinal geduldig.
Felix überlegte kurz, bevor er den nächsten Satz aussprach:
„Ich bin noch ein Kind.“
„Wenn du dich nicht fügst, bleibt nur noch der Weg ins Waisenhaus. Dort wirst du dann eingesperrt, bis du kein Kind mehr bist... und du musst arbeiten... dort!“, fuhr der Kardinal fort, ohne seinen Blick von Felix zu lassen.
Felix wollte sich nicht einschüchtern lassen.
„Ich will nicht eingesperrt sein!“, antwortete er mit leiser Stimme.
Dem Kardinal schien die Antwort zu gefallen.
„Wie darf ich dich ansprechen?“, fragte er.
„Nennen Sie mich bitte Felix.“
‚Er weiß genau, dass ich so heiße, Onkel Fidelius hat mich so in seinem Beisein genannt’, dachte sich Felix. ‚Er ist im Augenblick der einzige Mensch, der wirklich weiß, wer ich bin. Tut aber so, als kenne er mich nicht.’
Felix begriff, dass der Kardinal ein Spiel mit ihm spielte. Er wusste zwar noch nicht welches, aber er wollte auf jeden Fall mitspielen. Vielleicht könnte er es sogar gewinnen, wer weiß. Aber wenn er nicht mitspielte, hätte er bereits jetzt verloren. Und Felix wurde klar: Dieses Spiel hatte bereits vor vielen Tagen begonnen, mit einem kleinen Zettel...
„Ich will zur Giraffe!“, verlangte Felix. Seine Stimme zitterte dabei leicht. Ihm war, als würde er seinen eigenen Tod fordern. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er mit diesen Worten genau anrichtete. Was würde jetzt passieren?
Der Kardinal lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Er schien zufrieden mit der Antwort.
„Zur Giraffe?!? Sieh mal einer an! Du bist wirklich ein kluger Junge. Ein sehr kluger Junge sogar...“, schmeichelte der Kardinal und lächelte dabei. „Hast du denn überhaupt Zeit für die Giraffe, Felix?“, fragte er weiter und strich mit dem roten Handschuh sanft über das schwarze Buch vor ihm.
„Ja. Ich habe Zeit. Endlos viel Zeit. Zeit ist das Einzige, was mir noch geblieben ist. Die Giraffe will mich.“ Er hielt dem Kardinal den Zettel hin. „Hier, meine Einladung!“
Doch der Mann warf keinen Blick auf den winzigen Schrieb und Felix steckte ihn wieder ein.
Feierlich schlug der Kardinal das schwarze Buch auf und der rote Handschuh schwebte über den Seiten, bis er die Stelle gefunden hatte, die er suchte.
„Du hast Glück! Es ist etwas frei. Sie werden froh sein, so einen tüchtigen und klugen Jungen wie dich zu bekommen.“
Felix atmete tief durch. ‚Hat dieser Mann gerade von ‚Glück’ gesprochen?’, fragte er sich. ‚Nach allem, was mir zugestoßen ist.’ Felix hätte am liebsten das schwarze Buch vom Tisch gefegt. Aber er wusste, er musste sich beherrschen. Er wusste, dass der Kardinal seine einzige Hoffnung war. Felix musste es zur Giraffe schaffen und nur der Fremde kannte den Weg.
6.
Einsames Leben. Seht ihr in der Ferne die Prinzeninseln liegen? Fällt nachts das Mondlicht auf sie, hört man das Weinen und Wehklagen der verstoßenen Königskinder. Oh, die Untröstlichen. Sie führen ein Leben in Verbannung, für sie gibt es keine Rückkehr. Einen Thron werden sie niemals besteigen. Verschwörer haben ihnen ihre Macht geraubt, sie geblendet und dann auf den Inseln ausgesetzt. Auf diese grausame Weise ließen sich die königlichen Erbfolgen neu bestimmen. Was würden die Prinzen darum geben, sich bei dem allabendlichen Ballett der Boote auf dem Bosporus zu trösten, all die bunten Lichter, die die Schiffe schmücken, bestaunen zu können? Kreuz und quer treiben sie auf dem Wasser, voll beladen mit Leben und Freude. Vor dem greisen Fährmann aber, der dich für eine Münze über den Fluss setzen will, damit du nicht als Schatten am Ufer zurückbleibst, erschrickt sogar der Mond. Hüte dich vor ihm. Denn noch ist dein Leben nicht vorbei...
Was für ein Tag! Die Sonne blendete, leuchtete den Himmel blau aus. Felix war froh, aus dem Gefängnis befreit worden zu sein. Auch wenn er nicht wirklich frei war. Der Kardinal stand dicht bei ihm. Und er streckte die Hand mit dem roten Handschuh nach dem
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