Das Feuer von Konstantinopel
Esther finden“, bettelte Baptist und zog Felix an der Jacke.
Sinan Khan war gerade dabei, den Stein aus dem Auge des Wolfes zu lösen. Das ausgestopfte Tier war durch den Sturz in die Tiefe ziemlich ramponiert worden. Mit Geduld und Geschick schaffte er es schließlich, den Edelstein zu befreien. Gerade wollte er den Rubin in die Vitrine zurücklegen, da fiel ihm im Fell des Tieres etwas auf.
„Er hat etwas entdeckt! Sei still!“, zischte Felix so leise er konnte Baptist zu.
Für einen Augenblick unterbrach Sinan Khan seine Handlung. Er hatte etwas gehört und blickt nun zur Wand. Felix wagte kaum noch zu atmen.
Der türkische Militärattaché ließ seinen Blick in aller Ruhe durch das Zimmer schweifen. Eine Krähe hatte sich auf dem Fenstersims niedergelassen. Aber die schien ihn nicht weiter zu stören. Dem Wolf gehörte jetzt wieder seine volle Konzentration. Mit der Hand streichelte er über das Bauchfell des Tieres und hielt plötzlich einen glänzenden Gegenstand aus Metall zwischen seinen Fingern. Er drehte ihn ins Licht und auch Felix konnte aus seinem Versteck erkennen, was Sinan Khan gefunden hatte: Es war eine Patrone.
Nachdenklich betrachtete der Mann seinen Fund. „Ich habe doch nur einen einzigen Schuss abgefeuert!? Sie hat ihn nicht getroffen, der Wolf hat ihm das Leben gerettet!“
Eilig schloss er den Rubin in der Vitrine ein und verließ das Zimmer.
„Wachen...!“, hörte ihn Felix noch brüllen. Dann fiel die Türe zu.
Felix war wie elektrisiert.
„Baptist, wir müssen los! Es bleibt keine Zeit mehr. Der Kardinal lebt! Der Wolf hat ihm gerettet.“
Baptist sah Felix schweigend an. Dann senkte er den Kopf.
„Er ist nicht tot. Ich wusste es. Ich kann nicht mit dir kommen, Felix. Ich muss bei ihm bleiben. Er lässt mich niemals gehen!“
Felix packte Baptist. Er wollte ihn mit sich ziehen, fort von hier.
„Was redest du da. Du bist frei!“
Mitten in der Mauer versperrte ihnen plötzlich Giacomo den Weg.
„Fort mit euch. Man will mein Versteck durchsuchen. Ihr könnt hier nicht länger bleiben. – Ich bin überglücklich, Felix. Ich glaube, euer kleiner Zauber hat gewirkt. Das Blut des Prinzen ist geronnen! Ein Wunder ist geschehen. Es geht ihm schon viel besser. – Mir nach, ihr Helfer in der größten Not! Giacomo zeigt euch, wie ihr am schnellsten den Weg in die Freiheit findet! – Mama mia, ein Wunder ist geschehen...!“
21.
Sieh die Sonne aufgehen. Über den Dächern von Üsküdar steigt sie in die Höhe. Dort beginnt Asien. Die Sonne, dieses geheimnisvolle ferne Feuer, das die Dunkelheit durchdringt und sie besiegt. Immer wieder aufs Neue. Nun kann es nicht mehr lange dauern und für die Menschen beginnt ein neuer Tag. Noch können die Hunde ungestört in den Abfällen scharren, ohne dass sie jemand mit Fußtritten vertreibt. Für viele Menschen ist der Schmerz der Kreatur nicht mehr als ein lustiges Schauspiel. Sie sollen als Erste sterben, wenn die Stunde der Rache schlägt. Aber bis es so weit ist, müssen wir unsere Kränkungen schweigend ertragen. Aber glaube mir, ich bin die Tränen langsam leid.
Die Natur weiß nichts von der Not der Menschen. Sie weiß nichts von der Armut und dem Reichtum. Sie weiß nichts von der Grausamkeit und dem Glück. Davon weiß nur Gott. Die Natur hat Zeit, sie hat Geduld und sie ist unendlich. Sie wird das Treiben der Menschen überdauern.
Abermilliarden von Sternen und Sonnen können das Universum nicht erhellen. Selbst Trillionen Sterne schaffen das nicht. Niemals reicht das Licht aus, um dem ganzen Kosmos Licht zu geben. Die Dunkelheit lässt sich niemals auslöschen. Sie ist immer stärker.
Wer bist du, du Sandkorn? Wer hat dich auf die Welt geschickt und wozu? Jeder könnte jeder sein und doch hat jeder sein eigenes Schicksal. – Komm nur, komm in die Stadt Istanbul. Steig auf die Fähre über den Bosporus. Sie kostet nicht viel. Komm und öffne deine Hände. Nimm dir Zeit, gib anderen Platz und habe Geduld. Spüre den Wind in deinem Gesicht. Erblicke das Licht und lass dich über die Weite des Wassers tragen. Dann kann ich dir endlich antworten. Dann wirst du meine Stimme erkennen, fernab von der Musik der Straße...
Felix un d Baptist hatten keine Zeit mehr, sich von Esther zu verabschieden. Nachdem sie das Kaiserliche Schloss verlassen hatten, zogen die beiden Jungen zum Hafen, zu den Schiffen, die dort vor Anker lagen. Aufgrund ihrer vornehmen Kleidung behandelten die Menschen sie mit Respekt. Es war
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