Das Feuer von Konstantinopel
Schließlich konnte der Prinz nicht mehr an sich halten und fiel dem Diener mit Tränen in den Augen in die Arme. Beide drückten einander ganz fest.
„Ich war doch immer da, Hoheit, die ganze Zeit...!“, schluchzte Giacomo. „Ich habe Sie nie wirklich alleine gelassen!“
Mit dem Ärmel seines Harlekinkostüms trocknete er die Tränen des Prinzen. Der schneeweiße Stoff verfärbte sich langsam rot. Die Flecken wurden immer größer.
„Um Himmels Willen, Hoheit, Sie bluten ja!“, flüsterte Giacomo entsetzt.
„Ich weiß, Giacomo!“, antwortete der Prinz ganz ruhig. „Zu dumm, aber ich habe mich an der Hand geschnitten! – Sagen Sie es niemandem! Psst!“
Er legte den blutenden Finger auf seine Lippen, so, wie es seine Mutter, die Kaiserin, immer tat.
20.
Auch ich hatte Heimweh. Bestimmt wollte ich nicht fünfhundert Jahre auf dem Fenstersims eines Schlosses auf Felix warten. Andererseits, was hatte ich sonst zu tun? Wer braucht schon einen Geschichtenerzähler? Dort oder anderswo? Gedanken fliegen schneller als der Wind und die Welt ist groß. Wie soll man da noch das Wahre vom Falschen unterscheiden können? Aber erfüllt der Anblick des Meeres nicht einen jeden mit Sehnsucht? Oder ein blasser Mond, unter ihm kalt und stumm die Wolken, noch tiefer, im Meer, Schwärme von Fischen?
Nein, ich hatte Heimweh nach Istanbul. Dorthin wollte ich immer zurückkehren. Mich niederlassen auf den Prinzeninseln. Und ab und zu den Hexenkessel der Stadt aufsuchen, angezogen von dem Schwefelduft und den wütenden Wellen, in denen die Menschen durch die Gassen wogen, getrieben von der Grausamkeit des Überlebenskampfes.
Ich bin daran gewöhnt unter freiem Himmel zu leben und die Nächte sind alles andere als schrecklich. Die Nacht ist meine Welt. Ihr seid Kinder des Lichtes. Mich hat die Finsternis geboren. Der Tag kümmert mich nicht.
‚Was verbirgst du?’, fragst du mich.
Nun, ich habe scharfe Augen und sehe mehr als so manch anderer.
‚Was ist aus dir geworden?’, willst du wissen.
Ich antworte dir mit den Worten des Dichters: ‚Die Träume sind unser zweites Leben!’ In unseren Träumen leben wir noch einmal. Frei und gleichzeitig gefangen.
Niemals würde ich meinen Platz auf den Fährschiffen tauschen wollen. Immer treffe ich hier auf Menschen, denen gefällt, was ich zu erzählen habe, die meinen Geschichten gerne lauschen. Damit bin ich zufrieden. Mein Platz sind die Wasser des Bosporus. An seinen Ufern kommt alles zusammen: der Glauben, die Liebe, das Abenteuer, die Gefahr, das Glück und die Ewigkeit. Je nachdem, wo mein Schiff gerade ankert. Du willst sehen, wie ich meine Flügel spanne und am Himmel kreise? Vergiss es – eher fällt in einem brennenden Ofen Schnee...
Gejagt wie ein Tier kämpfte sich Felix auf der Flucht vor dem Kardinal durch das staubige Innere der Schlosswände. Manche Stellen waren so eng, dass er mit dem einäugigen Wolf unterm Arm nur schwer durchpasste. Immer wieder blieb er stecken und konnte sich nur mit Mühe befreien.
Aber auch sein Verfolger hatte zu kämpfen. Mal stürzte der Kardinal über einen losen Mauerstein, mal versperrte ihm ein morscher Balken den Weg. Verbissen stemmte er sich gegen zu schmale Ecken im Mauerwerk, die auch er kaum passieren konnte. In seinen Augen brannte der Staub und seine Lunge röchelte nach Luft. Aber nichts von alledem konnte ihn aufhalten. Er war besessen von der Idee, den kostbaren Rubin endlich in seinen Besitz zu bringen.
Hinter den beiden versuchte Baptist Schritt zu halten. Er rang um jeden Zug Atemluft, denn die beiden vor ihm wirbelten jede Menge Staub auf.
„Felix!“, rief Baptist mit erstickter Stimme. „Warte auf mich!“
Immer näher rückte er an den Kardinal heran. Der Abstand wurde immer kleiner und kleiner. Dem Kardinal entging das nicht. Baptists Japsen und Schnaufen drang immer dichter an sein Ohr. Geschickt duckte er sich in einer besonders dunklen Ecke und wartete, dass der Junge an ihm vorbei musste. Als Baptist die Stelle erreichte, griff der rote Handschuh erbarmungslos zu. Er konnte nicht einmal einen Schrei loslassen, so eng würgte ihn die Hand des Kardinals.
„Felix!“, rief der Mann mit seiner Donnerstimme. „Ich habe nichts mehr zu verlieren. Gib mir den Rubin oder ich töte Baptist!“
Felix blieb stehen. Aber er konnte die beiden nicht sehen. Nur die verzweifelten Laute von Baptist waren zu hören. Wie ein Schneegestöber wirbelte der weiße Mauerstaub durch die Dunkelheit.
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