Das Feuer von Konstantinopel
Felix krallte sich am Fell des ausgestopften Tieres fest, atemlos in eine Ecke gekauert. Er rang nach Luft. Das blinde Mädchen in der Geschichte, so muss es sich gefühlt haben...
„Ich möchte euch etwas fragen“, schnaufte Felix. „Warum habt ihr mich in das alles hineingezogen?“
Felix horchte in die schwarze Stille. Es dauerte, bis eine Antwort kam.
„Er ist dein Bruder, Felix. Baptist ist dein Bruder.“
Niemand sprach mehr. Auch Felix schwieg. Er klammerte sich weiter an den einäugigen Wolf und legte seinen Kopf an den des Tieres. Der Rubin funkelte matt.
„Sie lügen!“, schrie Felix zurück. Er vergrub sein Gesicht im Fell des Wolfes und Tränen verschmierten den Staub auf seiner Haut.
„Du hast es nicht anders gewollt, Felix!“ Der Kardinal grinste Baptist an und drückte ihm die Kehle zu. Baptist schlug verzweifelt um sich, versuchte zu schreien, sich zu befreien. Aber der Kardinal kannte keine Gnade. Dem Jungen drohten die Sinne zu schwinden. Er wollte nicht sterben.
Endlich war die erlösende Stimme von Felix zu hören: „Lassen Sie ihn los!“
Er war durch die Dunkelheit näher gekommen, in letzter Sekunde. Der Kardinal lockerte den Griff und Baptist würgte und hustete und konnte sich kaum beruhigen.
„Das klingt schon viel vernünftiger, Felix von Flocke!“, säuselte der Kardinal zufrieden. Matt leuchtete ihm der Rubin wie ein magisches Licht aus einer anderen Welt entgegen. Der Kardinal verpasste Baptist einen Tritt.
„Verzieh’ dich. Du warst mir nur ein Klotz am Bein!“
Baptist kroch völlig erschöpft durch den Schutt zu Felix. Alle seine Kräfte waren verbraucht.
„Ist alles in Ordnung, Baptist? Geht es dir gut?“, fragte Felix den Jungen und streckte ihm die Hand entgegen.
„Das war knapp, Felix. Ich habe schon das Sonnenschiff gesehen“, lächelte Baptist kraftlos aber glücklich.
Felix warf dem Kardinal den Wolf vor die Füße.
„Möge er Ihnen Glück bringen! Aber ich weiß nun, es wäre gegen seine Natur!“
Der Kardinal griff sich das Tier.
„Spar dir deine Sprüche, Felix! Sag mir lieber, wie ich hier wieder herauskomme aus diesem verdammten Labyrinth!“
Felix deutete auf eine Stelle in der Wand.
„Dahinter liegt ‘Die Schlacht um Jerusalem’, daneben gibt es eine unsichtbare Türe.“
Der Kardinal nickte zufrieden.
„Du bist ein kluges Kerlchen, Felix von Flocke. Jammerschade, dass sich unsere Wege hier trennen. Wir beide könnten die Welt beherrschen. Gar nicht auszudenken. Ich hätte dich vieles lehren können. Wenn du es dir eines Tages anders überlegst, lass es mich wissen. Bis dahin, Lebewohl. – Und du Baptist: Halt die Ohren steif, Tölpel!“
Felix öffnete dem Mann die Türe. Erhobenen Hauptes ging der Kardinal an den beiden Jungen vorbei. Rasch schloss Felix die Geheimtür wieder. Er und Baptist waren in Sicherheit.
„Stimmt es, dass wir Brüder sind?“, wollte Felix wissen. Baptist legte sein Ohr an die Wand.
„Leise!“, flüsterte er. „Hörst du denn nicht?“
Vom Flur her drang Stiefelgetrappel durch die Mauer. Durch ein winziges Loch konnte Felix beobachten, wie Kloppke und seine Leute den Kardinal in die Enge trieben. Todesmutig flüchtete der durch das Fenster auf einen Mauersims, den Wolf im Arm. Kloppke versuchte ihm zu flogen. Doch der Polizist kam zu spät. Erst hörten Felix und Baptist einen Schuss, dann einen markerschütternden Schrei. Jemand stürzte in die Tiefe. Baptist zitterte.
„Er ist tot!“, flüsterte er. „Die Stimme... es war er! Ich bin frei.“
„Ja, es vorbei“, antwortete Felix leise. „Zeit zu gehen!“
„Warte!“, bat Baptist. Beide Jungen hörten, was draußen vor der Wand gesprochen wurde.
„Wenn er den Sturz und den Schuss überlebt hat, dann ist er wirklich der Teufel!“, sagte Kloppke. „Jetzt fehlen uns nur noch die beiden Jungen. Dann haben wir die ganze Bande dingfest gemacht!“
Im Laufschritt trabten die Polizisten den Flur hinunter. Gleich darauf herrschte wieder Stille. Die Luft war rein.
„Ich will ihn noch einmal sehen“, verlangte Baptist plötzlich. Felix wollte gerade zur Widerrede ansetzen, doch zu spät. Leise öffnete Baptist die Geheimtüre. Die beiden Jungen kreuzten den Flur und gingen zum Fenster. Von hier aus ließ sich gut erkennen, was im Hof vor sich ging. Unten auf dem Pflaster lag der Kardinal, hingestreckt wie eine weggeworfene Puppe, weiß gepudert vom Staub. Er bewegte sich nicht mehr. Seine Augen waren geschlossen und die Hand mit dem
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