Das Filmbett
unergiebigen
Stabbesprechung führte.
»Aber da gibt’s noch Malaysien«,
schränkte Pauly die anfängliche Begeisterung des Regisseures ein.
»Bühne, Kamera, seid ihr bald
fertig?« fragte dieser ungeduldig. »Beeilt euch gefälligst, sonst müssen wir
noch in den Bunker. Diese Einstellung hätt’ ich noch gerne im Kasten, es ist
die letzte für heute.« Er wandte sich wieder dem Außenrequisiteur zu: »Was für
Malaisen haben wir noch? Wo ist das Schmuckstück?«
»In Potsdam, keene fufzehn
Minüterchen von uns bei Strempel — det is der Grieneisen von Potsdam, da steht
er in der Auslaje. Links und rechts flambiert von ‘nem Oleanderboom. Die ha’
ick gleich mitangaschiert.«
»Das ist ja großartig.«
»Nischt ist jroßartich. Is seit
vier Jahren bestellt, verkooft und in Raten bezahlt. Un muß in der Auslaje
stehen bleibn, weil der spätere Inwohner zweemal am Tach daran vorbeigeht,
ergriffen stehn bleibt und sich ihn verzickt betrachtet.«
»Sie machen einen Scherz, Pauly.«
»Nee, Doktor, die reene Wahrheet.
Un der Besitzer is ‘ne Besitzerin, die wohl nich mehr allet beisammen hat, een
kleenet altes verschrumpeltes Fräulein... Buchhalterin in ‘nem Steuerbüro, so
eene mit schwarze Ärmelschoner, Mathilde heeßt sie, Mathilde Buchsbaum, die
läßt keenen an ihre ›letzte Heimstätte‹ sacht der alte Strempel, der
Bestattungsfritze, det sei ihr ein und allet und ihr Letztet, sacht sie.«
»Wir wollen ihn doch nicht kaufen,
nur leihen. Zwei Tage höchstens. Ein Tag Atelier, ein Tag Gelände. Mensch,
sprechen Sie mit ihr, versprechen Sie ihr alles. Es geht doch um Film, Kintopp.
Ist doch ein Zauberwort wie Simsalabim. Vielleicht ist sie eine Kinonärrin...
Da, Scheiße, die Sirenen, wer sagt’s denn. Feierabend! Alles in die Bunker...«
3
Am nächsten Tag. Die vergangene
Nacht war nicht so schlimm gewesen. Eine Brandbombennacht mittlerer Stärke. Die
Christbäume am Himmel über Berlin nicht so zahlreich wie in ärgeren Nächten.
Mehr Flakfeuer als Detonationen. Weniger Luftminen. Ein Scheinangriff auf
Berlin sollte wohl von anderen Zielen ablenken. Man würde nicht viel darüber
erfahren.
Der »Ufa-Expreß« der S-Bahn
trudelte am Morgen mit tragbarer Verspätung in Neubabelsberg-Ufastadt ein,
spülte seine Innereien auf den Bahnsteig. Müde, unausgeschlafene Menschen,
verschmutzt, in zerissenen Jacken, die Frauen meist in dem weiblichen
Luftschutzkostüm der Zeit: Ski- oder Trainingshose mit ausgefranstem Pullover.
Der Strom der Angestellten, Arbeiter, Kunsthandwerker, Garderobieren und
Maskenbildnerinnen, Komparsen, Kleindarsteller, Musiker und Prominenten quoll
über die Treppen der S-Bahnstation, teilte sich in Rinnsale, schlängelte durch
den ungepflegten Baumbestand des »Seufzerwäldchens« (nach den Hoffnungs- und
Erwartungsseufzern ehrgeiziger Filmaspiranten so genannt). In den Ästen hingen
noch — wie die schäbigen Reste eines Betriebsfestes im Karneval — die
Stanniolstreifen, die von alliierten Vorausstaffeln abgeworfen worden waren, um
die deutschen Radargeräte der Abwehr zu verwirren. Der lepröse Tatzelwurm
maroder Menschen erreichte schließlich in losen Gruppen die Tore der
Union-Film. Hier zerstreute er sich, versickerte förmlich in den verschiedenen
Arbeitsstätten. Auf den betonierten Vorplätzen der Werkhallen klopften bereits,
streng beaufsichtigt von niederländischen Hilfspolizisten, die den Werkschutz
übernommen hatten und es den SS-Wachen gleichtun wollten, Zwangsarbeiterinnen
aus den noch oder einstmals besetzten Ostgebieten, krumme Nägel gerade;
russische Kriegsgefangene in schmutzigbraunen Arbeitsuniformen zerlegten
»abgedrehte« sperrige Dekorationsteile wieder in ihre Ausgangsmaterialien,
ordneten Sperrholzplatten, Bretter, Leisten, Stangen und Balken nach Größe,
Länge und Breite, befreiten mit ätzenden Laugen Stellwände und Blenden von den
Fotoresten einstiger Backgrounds, wuschen Leinwände. Jute- und Nesselbahnen
wurden wieder verwendungsfähig gemacht. Ein armseliges Recycling einer früher
großmächtigen und verschwenderischen Illusionsindustrie.
Im Atelier kletterten ausländische
Zwangsarbeiter und Hiwis auf die Galerien und Beleuchterbrücken, deportierte
polnische Dorfmädchen putzten mißmutig an ihren Scheinwerfern und schleppten
Lampenstative herbei.
»Doktor, ick hab’ ihn
abgeschossen!« Pauly strahlte.
Der Regisseur mit einem
zerbrochenen linken Brillenglas, guckte zerstreut auf Pauly.
»Abgeschossen? Wen? Einen
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