Das Filmbett
den — angeblich — Toten
oder der vage Aspekt einer berechenbaren Zukunft? Heroische Todessehnsucht,
idealisiertes Nicht-mehr-Sein, war es sicher nicht. Kleinbürgerliche Lust am
Endgefühl — niemals.
In der Mittagspause blieb sie
sitzen und kramte aus ihrem Beutel eine kleine Schokoladenration. Eine
Einladung der Aufnahmeleitung in die Kantine lehnte sie ab, ebenso Ersatzkaffee
(die übliche Kriegspleurre) oder eine Flasche dünnen Katastrophenbieres. Früher
zurückgekommene Bühnenarbeiter wollen gesehen haben, daß sie aus einem
altertümlichen Flakon etwas gekippt habe. Es muß kein Weinbrand gewesen sein,
etwas Medikamentöses, Herzstärkendes war wahrscheinlicher.
Der Drehtag ging zu Ende — störungslos
— , die Sequenz war im Kasten und zwar bestens — wenn Materialmängel und
zeitbedingte Schäden in der Kopieranstalt den künstlerischen Bemühungen keinen
Strich durch die Rechnung machten.
Als sich der tote Gutsherr, alias
Heinrich George, mit Hilfe der Garderober und einiger Bühnenarbeiter aus dem
Sarg erhoben hatte und die eingeschlafenen Glieder bewegte, nicht ohne in
seiner Frackhose bei diesem Bemühen einen lange unterdrückten Laut von sich zu
geben, wandte er sich schließlich Fräulein Buchsbaum zu und meinte mit der
routinierten Leutseligkeit des Prominenten: »Et wohnt sich eijentlich ganz jut
da drin... Jedenfalls herzlichen Dank für das Logis«, worauf das Fräulein, das
sich zu ihrer ganzen Kleinheit erhoben hatte, einen Knicks machte und mühsam
ein: »Es war mir eine Ehre«, stammelte. Dann bat sie um ein Autogramm. Nicht
auf ein Foto, ein Stück Papier, um das sich der Regieassistent sofort zu
bemühen suchte — nein, auf die Innenseite des Sarkophagdeckels sollte es
verbracht werden, in Kopfhöhe, so daß man es immer und ewig vor dem Gesicht
hatte.
Ein Dermatograph war aus dem
Schminkkasten der Maskenbildnerin rasch zur Stelle, der Sargdeckel wurde von
Bühnenarbeitern aufgerichtet, ein Hocker darvorgestellt, damit es der Herr
Schauspieler auch bequem habe. Und dann malte dieser mit viel kalligraphischem
Bemühen sein Sprüchlein, bei dem er seinen mephistophelischen Sarkasmus nicht
unterdrücken konnte, und beendete das Werk mit dem genialen Schwung seines
Autographs. Da konnte man dann lesen: »Trautes Heim — Glück allein, dies
wünscht in hoffentlich ferner Zukunft H.G.«
Takt und Geschmack war nie seine
starke Seite gewesen.
Fräulein Buchsbaum hatte noch
einen »letzten Wunsch«. Er wurde ihr gewährt, die Kostümbildnerin gerufen. Es
ging um den morgigen Drehtag. »Feierabend«, sagte der Regisseur. Es gab keinen
Voralarm. Die Nacht sollte ruhig bleiben.
6
Am nächsten Tag stand die
Beerdigung auf dem Drehplan. Der Himmel über dem Devisenhügel entsprach den
dramaturgischen Forderungen des Drehbuches. Schwere Wolken hingen tief über dem
dörflichen Gottesacker und nur ein heller Rand am Horizont ließ die schwarzen
verwitterten Grabkreuze wie Silhouetten dunkel gegen den Himmel stehen. Das
Grab war bereits geschaufelt. Die Trauergemeinde der marienwerderschen
Honoratioren mit ihren Damen, die Gutsnachbarn mit ihren Familien, ja sogar ein
wilhelminischer Gardeoffizier mit schimmernder Brünne und silbrigem Adlerhelm —
jenau wie Lohenjrin, meinte der boshafte Opa des Drehbuches -, gaben dem Verblichenen
das Geleite, und natürlich waren die Schützenvereine und die Feuerwehrkapellen
aufmarschiert. Dann folgte das Gesinde, die Tagelöhner, Kinder — wie der Brauch
es eben wollte.
In der Gruppe der Würdenträger und
der adeligen Gutsbesitzer, also in einer der vorderen Reihen humpelte auch
Fräulein Buchsbaum — offensichtlich nicht gut auf den Beinen — mit, stilgerecht
eingekleidet in einem vornehmen Trauerkostüm, wie es seinerzeit Drecoll nicht
schöner für den kaiserlichen Hof hätte entwerfen können, und einem wippendem
Wagenrad von Schleierhut auf der kunstvollen, zeitgerechten Frisur, zwar klein
von Wuchs aber imposant in der Haltung. Das sorgfältige Make-up allerdings
lieferte sich in der Folge einen vergeblichen Kampf mit den Tränen der
Ergriffenheit bei den salbungsvollen Worten des Herrn Pastors. Der von den
engsten Freunden des Verstorbenen getragene Sarg wurde schließlich an den
Gurten zu Grabe gelassen, Schäufelchen von Erde ihm nachgeworfen, wobei der
Regisseur nicht versäumte, die Anweisung zu geben, den Sand ja neben den Sarg
zu schütten, um ihn nicht zu beschädigen. Die Trauergemeinde, nun ganz an den
Grubenrand getreten,
Weitere Kostenlose Bücher