Das Filmbett
ihrer
Andersartigkeit wurde sie in der Branche sofort ein Erfolg. Weniger bei den
zahlungskräftigen Kundinnen als bei deren ständigen Begleitern, Herren, die das
Scheckbuch in der Brusttasche und weitere potentielle Qualitäten anderenorts
trugen. Sie verdiente ausgezeichnet, bezog eine hübsche Apartmentwohnung und
verfügte über genug Geld, trotz der hohen Provisionen einer Agentur und ihres
Fotofreundes, der langsam daran gewöhnt worden war, sich mit Prozentanteilen
und dem gelegentlichen Leibestribut ohne weitergehende Ansprüche
zufriedenzugeben.
Einmal in die Liste der Topstars
aufgenommen, führte diese Auszeichnung zu Flugreisen in die Mode-Metropolen, zu
Modewochen und Modemessen, zur sogenannten »Durchreise«, zu Sonderveranstaltungen,
Tagesschauaufzeichnungen. Es ging über Meere und Kontinente, sie kam in der
Welt herum und konnte in der V. I. P.-Lounge der internationalen
Fluggesellschaften ihren Aperitif einnehmen. Aber dieses Leben in Streß brachte
die materielle und innere Buchhaltung ihres Daseins nicht außer Ordnung. Ihr
Leben ließ sich weiterhin ohne falsche Buchungen leicht bilanzieren. Weder
heftige Liebschaften, sexuelle Abhängigkeiten, noch der Wunsch, mehr auszugeben
als vernünftig war, brachten ihr Budget oder ihr Innenleben außer Balance. Und
doch war sie in diesem aufzehrenden, aber lukrativen Beruf nicht glücklich. Sie
zog sich gut an, machte sich aber aus modischen Dingen wenig. Sie aß
zurückhaltend, um nicht an Gewicht zuzulegen. Ihre sexuellen Partner ergaben
sich problemlos aus den beruflichen Umständen, aber ebensogerne schlief sie
allein. Sie haßte das Aufgeben ihrer Persönlichkeit, um ein Kleid vorzuführen,
dieses starre, maskenhafte Zurücktreten hinter einem kunstvoll arrangierten
Textil, die menschliche Reduktion zum mechanisch sich bewegenden
Kleiderständer, zur stoffbehängten Marionette. Sie wußte, daß jedenfalls sie kein Kleid vorführte, sondern sich in einem Kleid. Und daß das ihr
eigentlicher Erfolg war.
Erst sehr spät kam die Direktion
des Modehauses darauf, daß Swantje zwar die Herrenkundschaft vergrößerte, die
der Damen hingegen eher frustrierte. Es gab hitzige Debatten in Konferenzen und
Aufsichtsratssitzungen zwischen den bestimmenden und einflußreichen Herren der
Tuch- und Textilbranche, der Kunststoffhersteller und Kleiderfabrikanten
einerseits und den Chefdirektricen mit dem Anhang von Mitarbeiterinnen
andererseits. Die Männer, von denen manche Swantje besser kannten als die
Damen, traten meist für sie ein, denn sie hatte sich brav bewährt und zu keinen
Klagen Anlaß gegeben. Die Geschlechtsgenossinnen jedweder Rangordnung hingegen
bezeichneten sie als Gefahr, ja als geschäftliche Schädigung. Schließlich
siegten die Frauen und man zog sich von Swantje zurück, mit dem nicht ganz
unzutreffenden Vorwand, ihre immer prachtvoller gewordene Figur entspräche
nicht mehr den handelsüblichen Damengrößen.
Swantje gab diesen Beruf ohne
Bedauern auf. Die eigene Person in der Garderobe zurücklassen zu müssen, um
einen Fetzen Tuch, seinen Schwung, seinen Sitz und seinen Fall richtig zur
Geltung zu bringen, erschien ihr stumpfsinnig. Sie war ein Mensch aus Fleisch
und Blut und keines dieser Schattengewächse, denen der Dracula »Haute couture«
und der Nosferatu »Pret-à-porter« alles Blut ausgesogen hatte und die sich
paradoxerweise durch Anämie, Rachitis, Muskelschwund und Auszehrung am Leben zu
erhalten schienen.
Der nächste Berufswechsel vollzog
sich ganz einfach — fast nur auf administrativem Wege: Die Agentur wechselte
Swantjes Fotomaterial in seiner Plastikhülle aus einem Leitzordner in einen
anderen. Ihr Name wurde in einer Liste gestrichen, in einer anderen
eingetragen.
Aus dem Mannequin wurde ein Model
— wobei die Betonung auf der ersten Silbe des Wortes liegt, was beachtet
werden muß, wenn man »in« sein will. Ein Model ist kein altertümliches Modell,
das seinen Körper ernsthaften und windigen Malern zum Abkonterfeien ausleiht
oder in den Kunstakademien stehend posiert, um Studenten kostenlos über
weibliche Anatomie zu belehren und sie zu künstlerischer Verarbeitung dieser
Erkenntnisse zu veranlassen. Ein Model ist ein eminent wichtiger Wirtschaftsfaktor
in der Werbeindustrie und damit in der Leistungs- und Verbrauchergesellschaft.
Ein Model dient nicht nur als Covergirl dem täglichen oder periodischen
Druckgewerbe als Blickfang am Zeitungskiosk, sondern ebenso dem Ruhme von
Automarken und Karosseriedesignern;
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